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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Augenblick an wirst du das Band ihrer Gedanken nicht mehr zerreißen können. Ich selbst liebe die äußerste Freiheit des Unbekanntseins. Niemand kennt mich mit völliger Gewißheit, so wie die Leute zum Beispiel dich kennen.«
»Aber das bedeutet, zu lügen.«
    »Ich kümmere mich nicht um Lüge oder Wahrheit«, sagte er ernst. »Lügen sind nur dann Lügen, wenn du eine persönliche Geschichte hast.«
    Ich wandte ein, daß ich nichts dafür übrig hätte, die Leute absichtlich hinters Licht zu führen oder zu täuschen. Er antwortete, daß ich ohnehin jeden täusche. Der alte Mann hatte einen wunden Punkt in meinem Leben berührt. Ich hielt mich nicht damit auf, ihn zu fragen, was er damit meine oder woher er wisse, daß ich die Menschen immer täuschte. Ich reagierte einfach auf seine Feststellung, indem ich mich durch eine Erklärung zu rechtfertigen suchte. Es sei mir schmerzlich bewußt, sagte ich, daß meine Familie und meine Freunde mich für unglaubwürdig hielten, während ich in Wirklichkeit nie im Leben gelogen hätte.
    »Du hast es immer verstanden, zu lügen«, sagte er. »Der einzige Fehler war, daß du nicht wußtest, warum du es tatest. Jetzt weißt du es.« Ich protestierte.
    »Siehst du nicht, wie sehr ich es leid bin, daß die Leute mich für unglaubwürdig halten?« fragte ich.
    »Aber du bist unglaubwürdig«, antwortete er mit Nachdruck. »Zum Teufel, Mann, ich bin es nicht!« rief ich. Statt ihn zu zwingen, ernsthaft zu werden, brachte mein Gefühlsausbruch ihn dazu, hysterisch zu lachen. Ich verachtete den Alten wahrhaftig für seine Überheblichkeit. Unglücklicherweise hatte er, was mich betraf, recht. Nach einiger Zeit beruhigte ich mich, und er sprach weiter. »Wenn man keine persönliche Geschichte hat«, erklärte er, »kann nichts von dem, was man sagt, als Lüge aufgefaßt werden. Dein Problem ist, daß du zwanghaft jedem alles erklären mußt, aber gleichzeitig möchtest du dir die Frische und Neuheit dessen, was du tust, erhalten. Nun, da die Spannung weg ist, nachdem du alles, was du tust, erklärt hast, lügst du eben, um weitermachen zu können. «
    Ich war wahrhaft bestürzt über die Tragweite unseres Gesprächs. Ich schrieb, so gut ich konnte, alle Einzelheiten der Unterhaltung auf und konzentrierte mich dabei auf das, was er sagte, statt mich damit aufzuhalten, über meine Voreingenommenheit oder den Sinn seiner Worte nachzudenken.
    »Von nun an«, sagte er, »mußt du den Leuten einfach all das zeigen, was du ihnen zeigen möchtest, doch ohne jemals zu verraten, wie du es genau gemacht hast.«
»Ich kann keine Geheimnisse für mich behalten!« rief ich. »Was du da sagst, ist für mich wertlos.«
    »Dann ändere dich«, sagte er scharf, mit einem wilden Glanz in den Augen. Er sah aus wie ein seltsames wildes Tier. Und dennoch war sein Denken so konsequent und seine Sprache so artikuliert. Mein Ärger wich einem Zustand beunruhigender Verwirrung. »Du siehst«, fuhr er fort, »wir haben nur zwei Alternativen; entweder halten wir alles für gesichert und real, oder wir tun es nicht. Wenn wir das erstere tun, dann enden wir in tödlicher Langeweile an uns selbst und der Welt. Wenn wir das letztere tun und unsere persönliche Geschichte auslöschen, dann schaffen wir einen Nebel um uns her, einen sehr erregenden und geheimnisvollen Zustand, bei dem niemand weiß, nicht einmal wir selbst, wo der Hase hervorspringen wird.«
    Das Auslöschen der persönlichen Geschichte, behauptete ich, würde nur unser Gefühl der Unsicherheit verstärken. »Wenn nichts als gesichert gilt, dann bleiben wir wachsam, stets auf der Hut«, sagte er. »Es ist erregender, nicht zu wissen, hinter welchem Busch der Hase sich versteckt, als so zu tun, als wüßten wir alles.« Lange sprach er kein Wort; etwa eine Stunde verging in völligem Schweigen. Ich wußte nicht, was ich fragen sollte. Schließlich stand er auf und bat mich, ihn in die nahe gelegene Stadt zu fahren.
    Ich wußte nicht warum, aber unser Gespräch hatte mich erschöpft. Mir war nach Schlaf zumute. Unterwegs bat er mich, anzuhalten, und sagte mir, daß ich, wenn ich mich ausruhen wolle, auf den flachen Gipfel eines kleinen Hügels neben der Straße klettern und mich, mit dem Kopf nach Osten, auf den Bauch legen solle. Anscheinend hielt er dies für sehr wichtig. Ich wollte nicht widersprechen, oder vielleicht war ich sogar zu müde, um etwas zu sagen. Ich kletterte auf den Hügel und tat, was er mich geheißen hatte.
    Ich schlief nur

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