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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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zwei oder drei Minuten, aber es reichte, um meine Kräfte zu erneuern. Wir fuhren ins Zentrum der Stadt, wo er mich aufforderte, ihn abzusetzen. »Komm wieder«, sagte er, als er ausstieg. »Komm bestimmt wieder.«

3. Die eigene Wichtigkeit verlieren
    Ich hatte Gelegenheit, meine beiden vorangegangenen Besuche bei Don Juan mit dem Freund zu diskutieren, der uns zusammengebracht hatte. Er war davon überzeugt, daß ich meine Zeit vergeudete. Ich berichtete ihm in allen Einzelheiten über die Tragweite unserer Gespräche. Er meinte, daß ich einen einfältigen alten Kauz romantisierte und überbewertete.
    Ich war wenig geneigt, einen so widersinnigen alten Mann zu romantisieren. Ich hatte ernstlich das Gefühl, daß seine Kritik an meiner Persönlichkeit meine Zuneigung für ihn spürbar untergraben hatte. Dennoch mußte ich zugeben, daß sie stets richtig, scharf gezielt und zutreffend gewesen war.
    An diesem Punkt stand ich vor der Schwierigkeit, daß ich nicht bereit war zu  akzeptieren, daß Don Juan sehr wohl imstande war, alle meine vorgefaßten Meinungen über die Welt zu zerstören, und daß ich auch nicht bereit war, meinem Freund beizupflichten, daß der »alte Indianer« einfach verrückt sei.
    Ich fühlte mich verpflichtet, ihn noch einmal zu besuchen, bevor ich mich entscheiden  wollte.
Mittwoch, 28. Dezember 1960  
    Unmittelbar nachdem ich bei ihm zu Hause eingetroffen war, nahm er mich auf einen Spaziergang durch den Wüsten-Chaparral mit. Er warf nicht einmal einen Blick auf die Tüte mit den Lebensmitteln, die ich ihm mitgebracht hatte. Er schien mich erwartet zu haben.
    Wir gingen viele Stunden lang. Weder sammelte noch zeigte er mir irgendwelche Pflanzen. Wohl aber lehrte er mich eine »angemessene Art zu gehen«. Er sagte, ich müsse beim Gehen die Finger leicht einwärts krümmen, damit ich meine Aufmerksamkeit auf den Weg und die Umgebung richten könne. Er behauptete, daß meine normale Art zu gehen mich schwächte und daß man niemals etwas in der Hand tragen dürfe. Wenn etwas getragen werden müsse, dann solle man einen Rucksack, ein Tragnetz oder eine Schultertasche benutzen. Er meinte, wenn man seine Hände zu einer bestimmten Haltung zwingt, könne man mehr Ausdauer und Aufmerksamkeit aufbringen.
    Ich sah keinen Grund zu widersprechen und krümmte im Weitergehen meine Finger, wie er es mir gezeigt hatte. Weder meine Aufmerksamkeit noch meine Ausdauer änderten sich irgendwie.
    Wir hatten unsere Wanderung am frühen Morgen begonnen, und gegen Mittag legten wir eine Rast ein. Ich schwitzte und wollte aus meiner Feldflasche trinken, aber er gebot mir Einhalt und sagte, es sei besser, nur einen Schluck Wasser zu nehmen. Er schnitt ein paar Blätter von einem kleinen, gelblichen Busch und kaute sie. Er gab mir etliche und bemerkte, sie seien vorzüglich, und mein Durst werde verschwinden, wenn ich sie langsam kaute. Dies geschah zwar nicht, aber ich fühlte mich auch ohnedies ganz gut. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben und erklärte, daß ich nicht bemerkt hätte, welche Wohltat die »richtige Art zu gehen« oder das Kauen der Blätter bewirkte, weil ich jung und stark sei und mein Körper nichts spüre, weil er ein wenig dumm sei. Er lachte. Mir war nicht nach Lachen zumute, und das schien ihn noch mehr zu belustigen. Er korrigierte sich und sagte, mein Körper sei nicht wirklich dumm, sondern irgendwie nicht erweckt. In diesem Augenblick flog direkt über uns eine riesige Krähe vorüber und krächzte. Dies schreckte mich auf, und ich fing an zu lachen. Ich meinte, der Anlaß fordere direkt zum Lachen auf, aber zu meiner großen Verwunderung schüttelte er heftig meinen Arm und brachte mich zum Schweigen. Er machte ein sehr ernstes Gesicht. »Das war kein Spaß«, sagte er streng, als wüßte ich, wovon er sprach. Ich bat ihn um eine Erklärung. Es sei doch ungereimt, sagte ich, wenn mein Lachen über die Krähe ihn ärgere, während wir beide über die Kaffeemaschine gelacht hätten. »Was du gesehen hast, war nicht einfach eine Krähe!« rief er. »Aber ich hab's gesehen, und es war eine Krähe«, beharrte ich. »Du hast nichts gesehen, du  Narr«, sagte er schroff. Seine Grobheit war ungerechtfertigt. Ich sagte ihm, daß es mir unangenehm sei, jemanden zu verärgern, und daß es wohl besser sei, wenn ich abführe, da er wohl nicht in der Stimmung sei, Gesellschaft zu haben.
    Er lachte schallend, als sei ich ein Clown, der ihm etwas vorspielte. Mein Ärger und  meine

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