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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Verwirrung steigerten sich dementsprechend.
    »Du bist sehr hitzig«, bemerkte er beiläufig. »Du nimmst dich zu wichtig.«
    »Aber hast du nicht dasselbe getan?« warf ich ein. »Hast du dich nicht wichtig  genommen, als du dich über mich ärgertest?«
    Er sagte, es liege ihm so fern wie nur etwas, sich über mich zu ärgern. Er sah mich durchdringend an.
    »Was du gesehen hast, war nicht die Zustimmung der Welt. Fliegende oder krächzende Krähen sind nie eine Zustimmung. Das war ein Omen.«
»Ein Omen wofür?«
    »Ein sehr wichtiger Hinweis für dich«, antwortete er geheimnisvoll. Genau in diesem Augenblick fuhr der Wind rechts von unseren Füßen durch einen trockenen Busch.
    »Das war eine Zustimmung!« rief er mit leuchtenden Augen und lachte aus vollem Hals.
    Ich hatte den Eindruck, daß er mich zum besten hielt, indem er die Regeln dieses eigenartigen Spiels festsetzte, während wir dahinwanderten. Demnach stand es ihm an zu lachen, mir aber nicht.
    Mein Ärger kam wieder hoch und ich sagte, was ich von ihm hielt.
    Er war ganz und gar nicht böse oder gekränkt. Er lachte, und sein Lachen peinigte  und frustrierte mich noch mehr. Ich glaubte, daß er mich absichtlich demütige. Ich beschloß daher, mit dieser Art »Feldarbeit« Schluß zu machen. 
    Ich stand auf und sagte, ich wolle zu seinem Haus zurückkehren, weil ich wieder  nach Los Angeles müsse.
    »Setz dich hin«, sagte er gebieterisch. »Du bist eingeschnappt wie ein altes Weib.
    Du kannst jetzt nicht gehen, denn wir sind noch nicht fertig.«
    Ich haßte ihn. Ich glaubte, er sei ein Mensch voller Überheblichkeit.
    Er fing an, ein blödsinniges mexikanisches Volkslied zu singen.
    Offenbar ahmte er irgendeinen populären Sänger nach. Er dehnte manche Silben  und verkürzte andere und machte so das Lied zu einer höchst lächerlichen
    Darbietung. Er war so komisch, daß ich schließlich lachen mußte.
    »Siehst du, du lachst über das blöde Lied«, sagte er. »Aber der Mann, der es auf diese Weise singt, und diejenigen, die bezahlen, um ihm zuzuhören, lachen nicht, sie nehmen es ernst.«
    »Was willst du damit sagen?« fragte ich. Ich glaubte, er habe sich absichtlich dieses Beispiel ausgedacht, um mir zu sagen, daß ich über die Krähe gelacht hätte, weil ich sie ebenso wenig ernst genommen hätte wie das Lied. Aber wieder verblüffte er mich. Er sagte, ich sei wie der Sänger und die Leute, die seine Lieder liebten, eitel und todernst angesichts eines Unfugs, auf den niemand, der recht bei Sinnen ist, etwas geben kann.
    Dann wiederholte er, als wollte er meine Erinnerung auffrischen, all das, was er zuvor zum Thema »Lernen über Pflanzen« gesagt hatte. Er betonte nachdrücklich, daß ich mein Verhalten weitgehend ändern müsse, wenn ich wirklich lernen wolle. Mein Ärger wuchs, bis es mich schließlich die größte Anstrengung kostete, auch nur meine Aufzeichnungen zu machen. »Du nimmst dich zu ernst«, sagte er. »Du bist in deinen Augen zu verdammt wichtig. Das muß sich ändern. Du bist so gottverflucht wichtig, daß du glaubst, das Recht zu haben, an allem Anstoß zu nehmen. Du bist so verdammt wichtig, daß du es dir leisten kannst, abzuhauen, wenn nicht alles so läuft, wie du willst. Mir scheint, du glaubst damit zu beweisen, daß du Charakter hast. Das ist Unsinn! Du bist schwach und eingebildet!« Ich versuchte, einen Einwand vorzubringen, aber er ließ nicht locker. Er wies darauf hin, daß ich wegen dieser übertriebenen Wichtigkeit, die ich mir beimaß, im Lauf meines Lebens nie etwas zu Ende gebracht hätte.
    Ich war starr vor Staunen über die Sicherheit, mit der er dies sagte. Natürlich traf es zu, und dies machte, daß ich mich nicht nur ärgerte, sondern auch bedroht fühlte. »Die eigene Wichtigkeit ist auch etwas, das man aufgeben muß, wie die persönliche Geschichte«, sagte er sehr eindringlich. Gewiß wollte ich nicht mit ihm streiten. Es war klar, daß ich schwer im Nachteil war; er würde nicht zu seinem Haus zurückkehren, bevor er fertig wäre, und ich wußte den Weg nicht. Ich mußte bei ihm bleiben.
    Er machte eine seltsame, unvermittelte Bewegung; irgendwie schnupperte er in der Luft herum, wobei er leicht und rhythmisch den Kopf schüttelte. Er schien in einem Zustand ungewöhnlicher Wachsamkeit zu sein. Er wandte sich um und musterte mich mit unruhigen, neugierigen Augen. Sein Blick glitt an meinem Körper auf und ab, als suchte er etwas Bestimmtes; dann stand er plötzlich auf und begann zu gehen.

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