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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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bestimmten Grund schreien würde.  Ich wollte mich von dem Felsen hinabgleiten lassen, aber er rief mir zu, ich solle noch  etwas bleiben. »Was tust du?« fragte ich.
    Er setzte sich und verbarg sich zwischen zwei Steinen am Fuß des Felsens, auf dem ich mich befand, dann sagte er mit sehr lauter Stimme, er habe sich nur umgesehen, weil er glaubte, etwas gehört zu haben.
    Ich fragte, ob er ein großes Tier gehört habe. Er legte die Hand ans Ohr und schrie, er könne mich nicht hören, ich solle meine Worte laut rufen. Ich hatte keine Lust zu schreien, aber er verlangte mit lauter Stimme, daß ich laut spräche. Ich rief, ich wolle wissen, was hier vorgeht, und er schrie zurück, es gebe wirklich nichts Besonderes. Schreiend fragte er mich, ob ich von der Spitze des Felsens irgend etwas Ungewöhnliches sehen könne. Nein, sagte ich, und er forderte mich auf, ihm das Terrain zu beschreiben. So brüllten wir einige Zeit hin und her, und dann gab er mir ein Zeichen, hinabzusteigen. Ich gesellte mich zu ihm, und er flüsterte mir ins Ohr, es sei nötig gewesen, so laut zu schreien, um unsere Anwesenheit bekanntzumachen, denn ich müsse mich für Kraft dieses Wasserloches erreichbar machen. Ich sah mich um, aber ich konnte kein Wasserloch entdecken. Er behauptete, daß wir darauf standen.
    »Hier gibt es Wasser«, flüsterte er, »und auch Kraft. Hier ist ein Geist, und wir müssen ihn anlocken; vielleicht wird er dich verfolgen.«
    Ich wollte mehr über den angeblichen Geist wissen, aber er verlangte völliges Schweigen. Er riet mir, mich völlig ruhig zu verhalten und nicht einmal zu flüstern noch die geringste Bewegung zu machen, die unsere Anwesenheit verraten könnte. Offenbar fiel es ihm leicht, stundenlang völlig reglos zu verharren; doch für mich war es die reine Folter. Meine Beine schliefen ein, mein Rücken schmerzte, und in Hals und Schultern nahm die Spannung zu. Mein ganzer Körper wurde taub und kalt. Ich fühlte mich sehr unbehaglich, als Don Juan endlich aufstand. Er sprang einfach auf  die Füße und reichte mir die Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen.
    Als ich versuchte, meine Beine zu strecken, mußte ich die unglaubliche Leichtigkeit  bewundern, mit der Don Juan nach Stunden der Bewegungslosigkeit aufgesprungen war. Meine Muskeln brauchten einige Zeit, um die zum Gehen nötige Elastizität wiederzugewinnen.
    Don Juan schlug den Weg zu seinem Haus ein. Er ging außerordentlich langsam. Er bestimmte, daß ich ihm im Abstand von drei Schritten folgen sollte. Er wich in Bögen vom geraden Weg ab und kreuzte ihn vier- oder fünfmal in verschiedenen Richtungen. Als wir schließlich bei seinem Haus anlangten, war es später Nachmittag.
    Ich versuchte, ihn nach den Ereignissen des Tages auszufragen. Er erklärte, es sei unnötig zu sprechen. Für den Augenblick solle ich auf Fragen verzichten, bis wir einen Ort der Kraft erreichten. Ich starb beinah vor Neugier, was er damit wohl meinte, und versuchte flüsternd eine Frage zu stellen, aber er ermahnte mich mit einem kalten, strengen Blick, daß es ihm ernst sei. Lange Zeit saßen wir auf der Veranda. Ich arbeitete an meinen Notizen. Von Zeit zu Zeit reichte er mir ein Stück getrocknetes Fleisch. Schließlich wurde es zu dunkel zum Schreiben. Ich versuchte, an die jüngsten Ereignisse zu denken, aber irgend etwas in mir widersetzte sich, und ich schlief ein.  
Samstag, 19.August 1961
    Gestern morgen fuhren Don Juan und ich in die Stadt und frühstückten in einem Restaurant. Er riet mir, meine Eßgewohnheiten nicht drastisch zu ändern. »Dein Körper ist nicht an das Kraft-Fleisch gewöhnt«, sagte er. »Du würdest krank werden, wenn du nicht deine gewohnte Nahrung hast.«
    Er selbst griff herzhaft zu. Als ich darüber witzelte, sagte er einfach: »Mein Körper mag alles.«
    Gegen Mittag wanderten wir zurück zum Bachbett. Durch »lärmendes Sprechen« und ein Stunden dauerndes, gezwungenes Schweigen suchten wir uns dem Geist bemerkbar zu machen.
    Als wir den Ort verließen, schlug Don Juan, statt zum Haus zurückzukehren, den Weg in die Berge ein. Zuerst erreichten wir einige sanfte Hügel, und dann stiegen wir in die höheren Berge. Dort wählte Don Juan eine Stelle aus, wo wir in offenem, unbeschattetem Gelände rasten wollten. Er sagte, wir müßten bis zur Dämmerung warten, und ich solle mich so natürlich wie möglich benehmen; dazu gehörte auch, daß ich so viele Fragen stellte, wie ich nur wollte.
    »Ich weiß, daß der Geist hier

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