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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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draußen lauert«, sagte er ganz leise. »Wo?«
»Dort draußen in den Büschen.«
»Was für ein Geist ist es?«
    Er schaute mich mit spöttischer Miene an und erwiderte: »Wie viele Sorten gibt es wohl?« Wir lachten beide.
    Ich hatte diese Frage aus reiner Nervosität gestellt. «Er wird in der Dämmerung hervorkommen«, sagte er. »Wir müssen bloß zu warten.«
    Ich schwieg. Die Fragen waren mir ausgegangen. »Diesmal müssen wir ständig weitersprechen«, sagte er. »Die menschliche Stimme zieht die Geister an. Gerade jetzt lauert einer da draußen. Wir wollen uns für ihn erreichbar machen, deshalb sprich nur weiter.«
    Ich hatte ein idiotisches Gefühl der Leere. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Er lachte und klopfte mir den Rücken. »Du bist wirklich eine Nummer«, sagte er. »Wenn du sprechen sollst, dann hast du keine Zunge mehr. Los, beweg deine Kinnladen.« Übermütig bewegte er den Unterkiefer auf und ab, wobei er den Mund rasend schnell öffnete und schloß.
    »Es gibt gewisse Dinge, über die wir von nun an nur an Orten der Kraft sprechen werden«, fuhr er fort. »Ich habe dich hierher geführt, weil dies dein erster Versuch ist. Dies ist ein Ort der Kraft, und wir können hier nur über die Kraft sprechen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was Kraft ist.«
    »Kraft ist etwas, womit ein Krieger umgeht«, sagte er. »Zu Beginn ist es eine unvorstellbare, weithergeholte Angelegenheit. Es ist schwer, auch nur daran zu denken. So ergeht es jetzt gerade dir. Später wird die Kraft zu einer ernsten Sache. Man hat sie vielleicht nicht, oder man erkennt vielleicht nicht einmal, daß es sie gibt, und doch weiß man, daß etwas da ist, etwas, das man zuvor nicht bemerkt hatte. Außerdem manifestiert sich die Kraft als etwas Unkontrollierbares, das einen überkommt. Es ist mir nicht möglich zu sagen, wie sie kommt oder was sie eigentlich ist. Sie ist nichts, und doch läßt sie Wunder vor deinen Augen geschehen. Und schließlich ist die Kraft etwas in uns selbst, etwas, das unsere Handlungen kontrolliert und trotzdem unserem Befehl gehorcht.«
    Es entstand eine kurze Pause. Don Juan fragte mich, ob ich verstünde. Es wäre mir albern erschienen, dies zu bejahen. Er schien meine Verblüffung bemerkt zu haben und kicherte. »Ich werde dich gleich jetzt den ersten Schritt zur Kraft lehren«, sagte er in einem Ton, als diktierte er mir einen Brief. »Ich werde dich lehren, das Träumen zu arrangieren.« Er sah mich an und fragte mich abermals, ob ich wisse, was er meinte. Ich wußte es nicht. Ich hatte ihm kaum folgen können.
    »Das Träumen arrangieren«, erklärte er, »bedeutet, eine genaue und pragmatische Kontrolle über die allgemeinen Bedingungen eines Traumes zu haben, vergleichbar mit der Kontrolle, die man über jede Entscheidung in der Wüste hat, etwa ob man auf einen Berg steigen oder im Schatten einer Schlucht bleiben will.«
»Du mußt mit etwas ganz Einfachem beginnen«, sagte er. »Heute nacht mußt du im Traum deine Hände ansehen.« Ich lachte laut heraus. Sein Ton war so beiläufig, als sagte er etwas ganz Alltägliches.
    »Warum lachst du?« fragte er überrascht. »Wie kann ich im Traum meine Hände ansehen?«
»Ganz einfach, du richtest einfach den Blick auf sie, einfach so.« Er neigte den Kopf nach vorn und starrte mit offenem Mund seine Hände an. Diese Gebärde war so komisch, daß ich lachen mußte. »Im Ernst, wie kannst du so etwas von mir erwarten?« fragte ich.
    »So, wie ich es dir gezeigt habe«, fuhr er mich an. »Du kannst natürlich alles anschauen, was dir, verflucht nochmal, Spaß macht - deine Zehen, deinen Bauch oder meinetwegen deinen Schwanz. Ich sagte, deine Hände, weil mir scheint, daß es am einfachsten ist, sie anzusehen. Glaube nur nicht, daß ich spaße. Das Träumen ist so ernst wie das Sehen oder das Sterben oder alles andere in dieser ehrfurchtgebietenden, geheimnisvollen Welt. Stell es dir als etwas Angenehmes vor. Denk an all die unglaublichen Dinge, die du vollbringen könntest. Ein Mann, der nach Kraft jagt, kennt in seinen Träumen fast keine Grenzen.« Ich bat ihn, mir ein paar Hinweise zu geben. »Was sollen Hinweise!« sagte er. »Schau einfach deine Hände an.«
    »Du mußt mir doch mehr darüber sagen können«, beharrte ich. Er schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen, wobei er mir kurze Blicke zuwarf. »Jeder von uns ist anders«, meinte er schließlich. »Was du Hinweise nennst, kann nur das sein, was ich selbst tat, als ich lernte.

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