Reise um den Mond
erwiderte Michel.
– Nun, fuhr Barbicane fort, solch ein Erstaunen ist dem Seleniten, welcher die der Erde gegenüber befindliche Seite des Mondes bewohnt, vorbehalten, welche dem Erdbewohner niemals sichtbar wird.
– Und die wir gesehen haben würden, fügte Nicholl bei, wenn wir zur Zeit des Neumondes, das heißt vierzehn Tage später angekommen wären.
– Dagegen will ich beifügen, fuhr Barbicane fort, daß der Bewohner der sichtbaren Seite von der Natur zum Nachtheil seiner Brüder der unsichtbaren Seite ausnehmend begünstigt ist. Letztere hat, wie Sie sehen, dreihundertvierundfünfzigstündige Nächte tiefen Dunkels, welches durch keinen Lichtstrahl unterbrochen wird. Die andere dagegen sieht, wann nach vierzehntägigem Beleuchten die Sonne untergeht, am entgegengesetzten Horizont ein glänzendes Gestirn. Es ist die Erde, dreizehnmal größer als der Mond, wie wir ihn kennen; die Erde, welche mit einem Durchmesser von zwei Graden ein dreizehnmal stärkeres, durch keine Luftschichte gemildertes Licht ihm spendet; die Erde, welche erst dann wieder verschwindet, wann die Sonne wieder am Himmel erscheint!
– Schöne Phrase! sagte Michel Ardan, etwas akademisch vielleicht.
– Daraus folgt, fuhr Barbicane fort, ohne sich irre machen zu lassen, daß diese sichtbare Seite der Mondscheibe zum Wohnen sehr angenehm sein muß, weil sie stets entweder die Sonne, beim Vollmond, oder die Erde, beim Neumond, zu sehen hat.
Kälte im Projcetil. (S. 133.)
– Aber, sagte Nicholl, dieser Vortheil muß wohl durch die unerträgliche Hitze, welche das Licht begleitet, aufgewogen werden.
– Das Unzuträgliche in dieser Hinsicht ist für die beiden Hälften gleich, denn das von der Erde reflectirte Licht ist offenbar ohne Wärme. Jedoch hat diese unsichtbare Seite noch mehr von der Hitze zu leiden, als die sichtbare. Ich sage das für Sie, Nicholl, weil Michel es vermuthlich nicht begreifen wird.
– Ich danke sehr für das Compliment, sagte Michel.
– In der That, fuhr Barbicane fort, wann diese unsichtbare Seite Licht und Wärme von der Sonne empfängt, ist’s Neumond, d.h. der Mond ist in Conjunction, hat seinen Stand zwischen Sonne und Erde. Er befindet sich also – im Verhältniß zu seiner Stellung in Opposition, wann Vollmond ist – der Sonne um das Doppelte seines Abstandes von der Erde näher. Dieser Abstand nun läßt sich auf den zweihundertsten Theil der Entfernung der Sonne von der Erde schätzen, nämlich in runder Ziffer auf zweimalhunderttausend Lieues. Folglich ist die unsichtbare Seite, wann sie von der Sonne bestrahlt wird, um zweimalhunderttausend Lieues näher bei der Sonne.
– Ganz richtig, erwiderte Nicholl.
– Dagegen – fuhr Barbicane fort.
– Einen Augenblick, sagte Michel, seinen ernsten Gefährten unterbrechend.
– Was willst Du?
– Ich begehre die Fortsetzung der Erklärung zu geben.
– Weshalb?
– Um zu beweisen, daß ich begriffen habe.
– Meinetwegen, sagte Barbicane lächelnd.
– Dagegen, sagte Michel, den Präsidenten Barbicane in Ton und Handbewegungen nachahmend, dagegen, wenn die sichtbare Seite des Mondes von der Sonne beleuchtet wird, ist es Vollmond, d.h. der Mond steht in Opposition zur Sonne im Verhältniß zu der Erde. Die Entfernung des strahlenden Gestirns beträgt dann in runder Ziffer zweimalhunderttausend Lieues mehr, und die Wärme, welche der Mond von demselben empfängt, muß etwas geringer sein.
– Richtig! rief Barbicane. Weißt Du, Michel, für einen Künstler bist Du doch gescheit.
– Ja, erwiderte Michel gleichgiltig, wir sind alle so auf dem Boulevard des Italiens!«
Barbicane drückte seinem liebenswürdigen Kameraden tüchtig die Hand, und fuhr fort, aufzuzählen, was für Vortheile die Bewohner der sichtbaren Seite voraushaben.
Unter Anderem führte er die Beobachtung der Sonnenfinsternisse an, welche nur für diese Seite der Mondscheibe möglich sind, weil dann der Mond in Opposition stehen muß. Diese Finsternisse, welche durch die Stellung der Erde zwischen dem Mond und der Sonne entstehen, können zwei Stunden dauern, während dessen in Gemäßheit der Brechung der Strahlen durch seine Atmosphäre die Erdkugel nur als ein schwarzer Punkt vor der Sonne erscheinen kann.
»Demnach, sagte Nicholl, kommt die eine Hemisphäre, die unsichtbare, durch Ungunst der Natur sehr schlecht dabei weg!
– Ja, erwiderte Barbicane, aber doch nicht die ganze Hälfte. In der That, durch eine Art schwankender Bewegung, durch ein gewisses
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