Reise um den Mond
Welt, welche sie, wie Moses das Land Kanaan, nur aus der Ferne gesehen hatten, und von welcher sie sich wieder ohne Umkehr entfernten. Das Projectil hatte in Beziehung zum Mond seine Lage geändert und kehrte jetzt sein Bodenstück der Erde zu.
Diese Aenderung konnte Barbicane nur beunruhigen. Wenn die Kugel in elliptischer Bahn um den Trabanten kreisen sollte, warum kehrte sie ihm nicht ihren schwereren Theil zu, wie es bei dem Mond in Beziehung zur Erde der Fall ist. Hierin lag etwas Unerklärliches.
Bei Beobachtung der Bahn des Projectils konnte man wahrnehmen, daß es bei seiner Entfernung vom Mond eine krumme Linie verfolgte, welche der bei seiner Annäherung gleich war. Es beschrieb also eine sehr lange Ellipse, die sich wahrscheinlich bis zu dem Punkt gleicher Anziehung, wo die Einwirkung von Seiten der Erde und seines Trabanten sich das Gleichgewicht hielten, erstrecken würde.
Dieses eben folgerte Barbicane aus den beobachteten Thatsachen, und seine Freunde theilten seine Ansicht.
»Und wenn wir an diesem Punkt angelangt sind, was wird aus uns werden? fragte Michel Ardan.
– Das ist’s eben, was wir nicht wissen! erwiderte Barbicane.
– Aber man kann doch muthmaßlich Fälle annehmen, denk’ ich.
– Ich nehme deren zwei an, versetzte Barbicane. Entweder die Geschwindigkeit des Projectils wird nicht ausreichen, und dann wird es ewig unbeweglich auf dieser Linie doppelter Anziehung bleiben …
– Da würde ich doch den anderen Fall vorziehen, wie er auch sein mag, entgegnete Michel.
– Oder sie wird ausreichen, fuhr Barbicane fort, und es wird seine elliptische Bahn verfolgen, um ewig um das Nachtgestirn zu kreisen.
– Eine wenig tröstliche Aenderung, sagte Michel. Wir würden dann gehorsame Diener des Mondes, den wir als Diener anzusehen gewohnt sind! Und das wäre die Zukunft, welche uns bevorsteht?«
Weder Barbicane, noch Nicholl wußten eine Antwort.
»Sie schweigen? fuhr Michel ungeduldig fort.
– Es giebt darauf keine Antwort, sagte Nicholl.
– Läßt sich denn nichts versuchen?
– Nein, erwiderte Barbicane. Würdest Du gegen das Unmögliche ankämpfen wollen?
– Warum nicht? Sollten ein Franzose und zwei Amerikaner davor zurückschrecken?
– Aber was willst Du machen?
– Der Bewegung, welche uns fortreißt, Meister werden!
– Meister werden?
– Ja, versetzte Michel lebhaft, entweder sie hemmen oder abändern, zur Erreichung unserer Zwecke verwenden.
– Und wie?
– Das ist Eure Sache. Wenn die Artilleristen ihrer Kugeln nicht Meister sind, so sind sie keine Artilleristen mehr. Wenn die Kugel den Kanonier beherrscht, so muß man diesen statt ihrer in die Kanone laden! Treffliche Gelehrten, wahrhaftig! Da wissen sie nun nicht, was werden soll, nachdem sie mich verleitet …
– Verleitet! schrieen Barbicane und Nicholl. Verleitet! Was meinst Du damit?
– Keine Beschuldigungen! sagte Michel. Ich beklage mich nicht! Die Fahrt gefällt mir! Das Geschoß befriedigt! Aber thuen wir doch alles Menschenmögliche, um, wo nicht auf den Mond, doch wieder auf die Erde zu fallen.
– Nichts anderes begehren wir, wackerer Michel, erwiderte Barbicane, aber an den Mitteln fehlt’s.
– Können wir nicht die Bewegung des Projectils abändern?
– Nein.
– Noch seine Geschwindigkeit vermindern?
– Nein.
– Nicht einmal durch Ballastauswerfen?
– Was willst Du hinaus werfen? versetzte Nicholl. Wir haben nichts von Ballast. Und übrigens dünkt mir, ein leichteres Fahrzeug wird noch schneller fahren.
– Nicht so schnell, sagte Michel.
– Schneller, entgegnete Nicholl.
– Weder mehr, noch minder schnell, erwiderte Barbicane, um seine Freunde in Einklang zu bringen, denn im leeren Raum, worin wir uns bewegen, kommt das specifische Gewicht nicht mehr in Anschlag.
– Dann, rief Michel Ardan mit entschiedenem Ton, bleibt uns nur etwas zu thun übrig.
– Und was? fragte Nicholl.
– Frühstücken!« erwiderte, ohne sich irre machen zu lassen, der verwegene Franzose, der in den schwierigsten Fällen stets diese selbe Lösung bei der Hand hatte.
In der That, hatte diese Verrichtung auch keinen Einfluß auf die Richtung des Projectils, so konnte man sie doch ohne Nachtheil vornehmen, und in Beziehung auf den Magen mit Erfolg. Wahrhaftig, Michel hatte doch gute Ideen.
Man frühstückte also um zwei Uhr morgens; aber auf die Stunde kam’s ja nicht an. Michel tischte auf, wie gewöhnlich, und dazu eine liebliche Flasche aus seinem geheimen Keller. Wenn ihnen dabei
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