Reisen im Skriptorium
Blank.
Genau. Und das hat mir Hoffnung gegeben. Wären Sie nicht so erfinderisch gewesen, hätten Sie es niemals geschafft.
Lassen Sie mich Ihnen beim Anziehen helfen, sagt Anna und sieht auf ihre Uhr. Wie die Zeit vergeht.
Das Wort
vergeht
erinnert Mr. Blank an seine Schwindelanfälle, an die Schwierigkeiten, die er vorhin beim Gehen hatte, doch als er jetzt die kurze Strecke von der Schwelle des Bades zum Bett zurücklegt, bemerkt er zuseiner Erleichterung, dass sein Kopf ganz klar ist und er keinen Sturz zu befürchten braucht. Da er sonst nichts hat, was diese Annahme stützen könnte, schreibt er die Besserung seines Befindens der wohltätigen Anna zu, der bloßen Tatsache, dass sie in den letzten zwanzig oder dreißig Minuten bei ihm gewesen ist und jene Zuneigung ausgestrahlt hat, nach der er sich so verzweifelt sehnt.
Die Kleidungsstücke sind alle weiß: eine weiße Baumwollhose, ein weißes Button-Down-Hemd, weiße Boxershorts, weiße Nylonsocken und ein Paar weiße Tennisschuhe.
Seltsame Zusammenstellung, sagt Mr. Blank. Darin sehe ich ja aus wie ein Eisverkäufer.
Er hat eigens darum gebeten, antwortet Anna. Peter Stillman. Nicht der Vater. Der Sohn. Peter Stillman junior.
Wer ist das?
Sie erinnern sich nicht?
Leider nein.
Er ist ebenfalls ein Schützling von Ihnen. Als Sie ihn mit einem Auftrag losgeschickt haben, musste er sich ganz in Weiß kleiden.
Wie viele Leute habe ich denn losgeschickt?
Hunderte, Mr. Blank. Mehr als ich zählen kann.
Na schön. Bringen wir’s hinter uns. Spielt ja wohl keine Rolle.
Ohne weitere Umstände löst er den Gürtel des Bademantelsund lässt den Mantel zu Boden fallen. Wieder steht er nackt vor Anna, ohne jede Verlegenheit oder Scham. Er senkt den Blick, zeigt auf seinen Penis und sagt: Sehen Sie, wie klein er ist. Jetzt ist das große Tier gar nicht mehr groß.
Anna lächelt und bedeutet ihm, indem sie mit der Hand aufs Bett klopft, sich neben sie zu setzen. Er tut es, und wieder fühlt er sich in seine frühe Kindheit zurückgeworfen, zurück in die Zeiten, als er auf seinem Schaukelpferd Whitey lange Ausritte durch die Wüsten und Gebirge des Wilden Westens unternahm. Er denkt an seine Mutter und wie sie ihn immer oben in seinem Zimmer ankleidete, während die Morgensonne schräg durch die Jalousien fiel, und als ihm bewusst wird, dass seine Mutter tot ist, wahrscheinlich schon seit langem tot ist, fragt er sich plötzlich, ob Anna nicht, ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters, so etwas wie eine neue Mutter für ihn geworden ist, denn warum sonst sollte er sich in ihrer Nähe so wohl fühlen, er, der im Allgemeinen doch so schüchtern und befangen reagiert, wenn andere seinen Körper sehen?
Anna steigt vom Bett und geht vor Mr. Blank in die Hocke. Sie beginnt mit den Strümpfen, streift einen über seinen linken Fuß und dann den anderen über seinen rechten, zieht ihm die Unterhose über die Füße und an seinen Beinen hoch und, nachdem er zuvorkommend aufgestanden ist, weiter hinauf an ihren endgültigen Platz und verbirgt so das ehemals große Tier, dassich, bevor allzu viele Stunden vergangen sind, zweifellos wieder erheben wird, um seine Herrschaft über Mr. Blank geltend zu machen.
Mr. Blank lässt sich ein zweites Mal aufs Bett sinken, und das Verfahren wird mit der Hose wiederholt. Als er sich zum dritten Mal hinsetzt, steckt Anna ihm die Turnschuhe an die Füße, erst den linken, dann den rechten, und bindet sie ihm zu, erst den linken, dann den rechten. Nun erhebt sie sich aus der Hocke, setzt sich neben Mr. Blank aufs Bett und hilft ihm mit dem Hemd, führt seinen linken Arm durch den linken Ärmel, dann den rechten Arm durch den rechten Ärmel und knöpft zu guter Letzt die Knöpfe von unten nach oben zu, und während dieser ganzen langwierigen und umständlichen Prozedur ist Mr. Blank mit den Gedanken woanders: in seinem Kinderzimmer mit Whitey und seiner Mutter, in den Zeiten vor so vielen Jahren, am längst vergangenen Beginn seines Lebens, als sie dieselben Dinge mit derselben liebevollen Geduld für ihn getan hat.
Jetzt ist Anna weg. Der Servierwagen ist verschwunden, die Tür ist zu, und Mr. Blank ist wieder allein in dem Raum. Die Fragen, die er ihr stellen wollte – was es mit dem Schrank auf sich hat, mit dem Typoskript und der darin erwähnten Konföderation, mit der Tür, ob sie von außen abgeschlossen ist oder nicht –, sind alle ungefragtgeblieben, und was den Grund für seinen
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