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Reisen im Skriptorium

Reisen im Skriptorium

Titel: Reisen im Skriptorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Anna. Jetzt sind Sie älter, aber ich finde Sie noch immer schön. Nahezu vollkommen, wenn Sie mich fragen.
    Sie brauchen nicht zu übertreiben, Mr.   Blank.
    Das tue ich nicht. Wenn man mir sagen würde, dass ich Sie bis an mein Lebensende täglich vierundzwanzig Stunden lang ansehen muss, hätte ich nichts dagegen einzuwenden.
    Wieder lächelt Anna, und wieder berührt Mr.   Blank ihre linke Wange mit seiner rechten Hand.
    Wie lange waren Sie an diesem Ort?, fragt er.
    Ein paar Jahre. Viel länger, als ich erwartet habe.
    Aber Sie haben es geschafft, dort wegzukommen.
    Am Ende, ja.
    Ich schäme mich so.
    Das brauchen Sie nicht. Tatsache ist, ohne Sie wäre ich ein Niemand, Mr.   Blank.
    Trotzdem   …
    Kein
trotzdem
. Sie sind nicht wie andere Männer. Sie haben Ihr Leben einer Sache geopfert, die größer ist als Sie selbst, und was Sie getan oder nicht getan haben, hatte keine egoistischen Motive.
    Sind Sie jemals verliebt gewesen, Anna?
    Einige Male.
    Und verheiratet?
    Ja, früher.
    Früher?
    Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben.
    Wie hieß er?
    David. David Zimmer.
    Woran ist er gestorben?
    Er war herzkrank.
    Auch dafür bin ich verantwortlich, stimmt’s?
    Nicht direkt   … Höchstens indirekt.
    Das tut mir sehr leid.
    Nicht doch. Ohne Sie hätte ich David überhaupt nicht kennengelernt. Glauben Sie mir, Mr.   Blank, es ist nicht Ihre Schuld. Man tut, was man zu tun hat, und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. Gute Dinge und schlechte Dinge. So ist das nun mal. Wir mögen darunter zu leiden haben, aber das hat seinen Grund, einen guten Grund, und wer sich darüber beklagt, hat nicht begriffen, was es heißt, am Leben zu sein.
     
    Es sollte bemerkt werden, dass in der Decke des Badezimmers eine zweite Kamera und ein zweites Mikrophon eingebaut sind, sodass auch alle Aktivitäten in diesem Raum aufgezeichnet werden können, und da es sich bei dem Wort
alle
um einen absoluten Begriff handelt, lässt sich die Abschrift des Dialogs zwischen Anna und Mr.   Blank in jedem einzelnen Detail verifizieren.
    Die Reinigungsprozedur geht noch einige Minutenlang weiter, und als Anna mit Waschen und Spülen der noch fehlenden Körperteile (Beine, vorne und hinten; Knöchel, Füße und Zehen; Arme, Hände und Finger; Skrotum, Gesäß und Anus) fertig ist, nimmt sie einen schwarzen Frotteemantel von einem Haken an der Tür und hilft Mr.   Blank hinein. Dann nimmt sie den blau-gelb gestreiften Schlafanzug und geht in den Raum nebenan, wobei sie darauf achtet, dass die Tür offen bleibt. Während Mr.   Blank vor dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken steht und sich mit einem batteriebetriebenen Elektrorasierer rasiert (herkömmliche Rasiermesser sind aus einleuchtenden Gründen verboten), faltet Anna den Schlafanzug, macht das Bett und öffnet den Schrank, um Mr.   Blank die Kleidung für diesen Tag herauszulegen. Ihre Bewegungen sind rasch und effizient, als versuche sie, verlorene Zeit aufzuholen. Sie erledigt diese Dinge in solchem Tempo, dass Mr.   Blank, als er mit Rasieren fertig ist und aus dem Badezimmer kommt, nur noch verblüfft zur Kenntnis nehmen kann, dass seine Sachen bereits auf dem Bett ausgelegt sind. Er hatte sich an das Gespräch mit James P.   Flood erinnert, in dem das Wort
Schrank
gefallen war, und gehofft, Anna dabei zu erwischen, wie sie die Schranktür aufmacht, falls denn der Schrank existiert, und so herauszufinden, wo sich dieser Schrank befindet. Als er jetzt den Raum absucht, sieht er nichts davon, und ein weiteres Rätsel bleibt ungelöst.
    Natürlich könnte er Anna fragen, wo der Schrank ist,aber kaum sieht er Anna auf dem Bett sitzen und ihn anlächeln, bewegt ihn ihre erneute Nähe so sehr, dass er die Frage vergisst.
    Ich fange jetzt an, mich an Sie zu erinnern, sagt er. Nicht an alles, aber an einzelne Bilder, einzelne Bruchstücke. Ich war sehr jung, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, stimmt’s?
    Ungefähr einundzwanzig, glaube ich, sagt Anna.
    Aber ich habe Sie immer wieder aus den Augen verloren. Mal waren Sie ein paar Tage da, und dann waren sie verschwunden. Ein Jahr verging, zwei Jahre, vier Jahre, und plötzlich sind Sie wiederaufgetaucht.
    Sie haben nicht gewusst, was Sie mit mir anfangen sollten. Sie haben lange gebraucht, um dahinterzukommen.
    Und dann habe ich Sie mit diesem   … Auftrag weggeschickt. Ich erinnere mich, dass ich Angst um Sie hatte. Aber Sie waren damals eine richtige Kämpferin, oder?
    Ein hartes, draufgängerisches Mädchen, Mr.  

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