Reisen im Skriptorium
schwarzen Sklaven, zumindest werden im Text keine erwähnt. Aber eine größere ethnische Vielfalt als hier in diesem historischen Zeitraum. Deutsche Namen, französische Namen, englische Namen, spanische Namen. Also gut, wo waren wir? Graf ist in den Fremden Territorien, auf der Suche nach Land, der womöglich ein Doppelagent ist, der sich womöglich mit Grafs Frau und Tochter davongemacht hat. Bauen wir das noch ein wenig aus. Ich glaube, vorhin bin ich zu schnell gewesen und habe zu viele übereilte Schlüsse gezogen. Joubert zufolge ist Land ein Verräter an der Konföderation und hat eine Privatarmee aufgestellt, um die Primitiven bei einem Einmarsch in die Westprovinzen anzuführen. Übrigens verabscheue ich dieses Wort. Primitive. Es ist zu platt, zu derb und hat wenig Flair. Versuchen wir uns etwas Farbigeres auszudenken. Hmmm … Ich weiß nicht … Vielleicht etwas wie … die Seelenmenschen. Nein. Nicht gut. Die Dolmen. Die Olmen. Die Tolmen. Furchtbar. Was habe ich bloß? Die Djiin. Das ist es. Die Djiin. Klingt ein bisschen wie Indianer, erinnert aber auch an anderes. Also gut, die Djiin. Joubert denkt, Land ist in den Fremden Territorien, um die Djiin bei einem Angriff auf die Westprovinzen anzuführen. Graf hingegen denkt, die Sache verhält sich komplizierter. Warum? Zum einen glaubt er, Land stehe loyal zur Konföderation. Zum anderen fragt er sich, wie Land in Begleitung von hundert Männern ohne Colonel De VegasWissen über die Grenze gelangen konnte. De Vega behauptet, nichts davon zu wissen, aber Carlotta hat Graf erzählt, Land sei vor über einem Jahr in die Territorien eingedrungen, und falls sie nicht lügt, ist De Vega in das Komplott eingeweiht. Oder aber – und daran habe ich vorhin nicht gedacht – Land hat De Vega mit einem bedeutenden Geldbetrag bestochen, und davon abgesehen weiß der Colonel nichts von der Sache. Aber das hat nichts mit Graf zu tun, denn der zieht Bestechung als Möglichkeit gar nicht in Betracht. Nach seinen Erwägungen hegen Land, De Vega und das gesamte Militär den Plan, einen vorgetäuschten Krieg gegen die Djiin zu führen, um die Konföderation zusammenzuhalten. Mag sein oder nicht, dass sie beabsichtigen, die Djiin nebenbei auszulöschen. Vorläufig gibt es nur zwei Möglichkeiten: Jouberts Position und Grafs Position. Wenn aus dieser Geschichte etwas werden soll, muss es aber eine dritte Erklärung geben, etwas, womit kein Mensch jemals gerechnet hätte. Denn sonst wäre das alles viel zu vorhersehbar.
Also dann, fährt Mr. Blank fort, nachdem er seine Gedanken gesammelt hat. Graf ist auf zwei Gangi-Dörfer gestoßen, deren Bewohner allesamt abgeschlachtet wurden. Er hat den wahnsinnig gewordenen weißen Soldaten begraben, und jetzt weiß er nicht mehr weiter. Während er sich langsam auf Land zubewegt, betrachten wir die beiden Hauptfragen zunächst einmal getrennt. Die professionelle Frage und die privateFrage. Was tut Land in den Territorien, und wo sind seine Frau und seine Tochter? Um ganz ehrlich zu sein, diese Familienangelegenheit langweilt mich. Lösungen gibt es dafür viele, und alle sind sie peinlich: zu banal, zu abgedroschen, keines Gedankens wert. Erstens: Beatrice und Marta sind mit Land durchgebrannt. Für den Fall, dass er sie zusammen findet, hat Graf geschworen, Land zu töten. Gleichgültig, ob ihm das gelingt oder nicht, entwickelt sich die Geschichte von da an zum simplen Melodram eines Hahnreis, der seine Ehre zu verteidigen sucht. Zweitens: Beatrice und Marta sind mit Land durchgebrannt, aber Beatrice ist inzwischen gestorben – entweder im Gefolge der Choleraepidemie oder an den Entbehrungen des Lebens in den Territorien. Nehmen wir an, dass Marta, jetzt sechzehn, zur Frau herangewachsen ist und Land als dessen Geliebte auf seinen Reisen begleitet. Was macht Graf dann? Will er Land immer noch töten, seinen alten Freund ermorden, während seine einzige Tochter ihn anfleht, das Leben des Mannes zu schonen, den sie liebt? O Daddy, bitte, Daddy, tu’s nicht! Oder lässt Graf die Vergangenheit ruhen und vergisst die ganze Sache? Wie auch immer, so geht das einfach nicht. Drittens: Beatrice und Marta sind mit Land durchgebrannt, aber beide sind gestorben. Land erwähnt Graf gegenüber nichts von ihnen, und dieses Handlungselement erweist sich als Sackgasse. Trause war offensichtlich noch recht jung, als er diesen Textgeschrieben hat, und es überrascht mich nicht, dass er ihn nie veröffentlicht hat. Er ist mit den beiden
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