Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
Punkte der Erdkugel, nicht aber in Beziehung auf die Sonne.
– Schau, sagte Bell, mit komischem Bedauern, ich meinte doch, ich sei so ruhig! Diese Täuschung muß ich aufgeben! Man kann wahrhaftig in dieser Welt nicht einen Augenblick in Ruhe sein!
– So ist’s, Bell, erwiderte Johnson; und wollen Sie, Herr Clawbonny, uns lehren, wie groß diese Fortbewegung ist?
– Sehr bedeutend, versetzte der Doctor; die Erde läuft um die Sonne mit einer Schnelligkeit, die sechsundsiebenzig Mal größer ist, als die einer vierundzwanzigpfündigen Kugel, die doch in der Secunde hundertundfünfundneunzig Klafter zurücklegt; Sie sehen, das ist wohl etwas anderes, als die Bewegung der Punkte des Aequators.
– Teufel! sagte Bell, das ist nicht zu glauben, Herr Clawbonny! Mehr als sieben Meilen in der Secunde, und es wäre doch so leicht gewesen, unbeweglich zu bleiben, wenn Gott nur gewollt hätte!
– Gut! sagte Altamont, stellen Sie sich vor, Bell, dann gäb’s auch weder Tag noch Nacht, weder Frühling noch Sommer, Herbst oder Winter!
– Ohne ein ganz entsetzliches Ergebniß in Anschlag zu bringen! fuhr der Doctor fort.
– Und was für eins? fragte Johnson.
– Wir würden auf die Sonne gefallen sein!
– Auf die Sonne gefallen! entgegnete Bell voll Staunen.
– Allerdings. Wenn diese Fortbewegung aufhörte, würde die Erde binnen vierundsechzig und einem halben Tage auf die Sonne stürzen.
– Ein Fallen in vierundsechzig Tagen! erwiderte Johnson.
– Nicht mehr, noch minder, versetzte der Doctor; denn es ist eine Entfernung von achtunddreißig Millionen französischen Meilen zurückzulegen.
– Was hat denn die Erdkugel für ein Gewicht? fragte Altamont.
Des Doctors Vortrag über die Schwerkraft. (S. 489.)
– Es beträgt fünftausendachthunderteinundachtzig Quadrillionen Tonnen.
– Gut! sagte Johnson; das sind aber Zahlen, welche dem Ohre nichts mittheilen! Man versteht sie nicht mehr!
– So will ich Ihnen, mein wackerer Johnson, zur Vergleichung zwei Ausdrücke geben, die in Ihrem Geist haften werden. Erinnern Sie sich, daß auf das Gewicht der Erde fünfundsiebenzig Monde kommen, und auf die Sohne kommt dreihundertundfünfzigtausend Mal das Gewicht unserer Erdkugel.
– Dies alles ist überwältigend! sagte Altamont.
– Ueberwältigend, das ist das richtige Wort, erwiderte der Doctor; aber ich komme wieder auf den Pol, weil eine kosmographische Belehrung über diesen Theil der Erde jetzt mehr wie je an der Stelle ist, sofern es Sie nicht langweilt.
– Fahren Sie nur fort, Doctor! sagte Altamont.
– Ich habe Ihnen gesagt, fuhr der Doctor fort, dem es ebenso viel Vergnügen machte, seine Gefährten zu belehren, als diesen, belehrt zu werden, – ich habe gesagt, der Pol sei ein unbeweglicher Punkt im Verhältniß zu den anderen Punkten der Erde. Dies ist aber nicht völlig richtig.
– Wie, sagte Bell, man muß noch einen Abzug machen?
– Ja, Bell, der Pol nimmt, genau genommen, nicht immer dieselbe Stelle ein; ehemals ist der Polarstern weiter vom Himmelspol entfernt gewesen, wie jetzt. Unser Pol hat also eine gewisse Bewegung für sich; er beschreibt binnen etwa sechsundzwanzigtausend Jahren einen Kreis. Das kommt vom Fortrücken der Tag-und Nacht-Gleichen – Aequinoctien – worauf ich gleich zu reden kommen werde.
– Aber, sagte Altamont, wäre es nicht möglich, daß der Pol einmal seine Stelle in einem weiteren Verhältniß ändert?
– Ei, lieber Altamont, erwiderte der Doctor, Sie rühren da an eine sehr bedeutende Frage, worüber die Gelehrten in Folge einer ganz besonderen Entdeckung lange Zeit stritten.
– Was für eine Entdeckung?
– Hören Sie. Im Jahre 1774 fand man den Leichnam eines Rhinoceros an den Gestaden des Eismeeres, und im Jahre 1799 den eines Elephanten an den Küsten Sibiriens. Wie kam es, daß diese Vierfüßler aus den heißen Zonen unter einem solchen Breitegrad sich vorfanden? Daraus entstand ein seltsamer Lärm unter den Geologen, die nicht so gescheit waren, wie späterhin ein Franzose, Elie de Beaumont, welcher den Satz aufstellte, daß diese Thiere bereits unter höheren Breitegraden lebten, und daß ihre Leichname ganz einfach von Strömen und Flüssen dahin gefördert wurden, wo man sie fand. Aber bevor diese Erklärung gegeben war, was meinen Sie, worauf die Phantasie der Gelehrten kam?
– Die Gelehrten sind zu Allem fähig, sagte Altamont lachend.
– Ja, zu Allem, um eine Thatsache zu erklären. So stellten sie die Vermuthung auf,
Weitere Kostenlose Bücher