Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
Null (– 37° hunderttheilig). Hatteras wartete voll Ungeduld auf einen Umschlag der Witterung; häufig beobachtete er das Barometer, aber dessen Angaben erwiesen sich als nicht verläßlich; er scheint in diesen hohen Breiten an der gewöhnlichen Treue seiner Anzeigen einzubüßen; in diesen Klimaten vollziehen sich merkwürdige Ausnahmen der sonst allgemein giltigen Witterungsgesetze: so ist die Reinheit des Himmels keineswegs immer von besonderer Kälte begleitet, und Schneefall veranlaßte ebensowenig immer ein Steigen der Temperatur; das Barometer blieb eben unzuverlässig, wie es auch schon viele Polarmeerfahrer beobachtet hatten: es stieg nicht selten bei Nord-oder Ostwinden; bei niedrigem Stande war oft schönes, heiteres Wetter, bei hohem, Schnee oder seiner Regen, kurz, man konnte aus seinen Angaben keine Schlußfolgerungen ziehen.
Am 5. Januar endlich trat eine Wendung ein; die Quecksilbersäule stieg bis auf achtzehn Grad unter Null (– 27° hunderttheilig) und Hatteras entschloß sich für den nächsten Morgen zur Abreise. Er ertrug es nicht mehr, sein Schiff mit eigenen Augen zerstückeln zu sehen, und schon war das ganze Oberdeck in den Ofen gewandert. –
Im Schneefall über das Eisfeld. (S. 218.)
Am 6. Januar wurde also trotz Schneestürmen der Befehl zur Abreise gegeben; der Doctor hinterließ den Kranken seine letzten Verordnungen; Bell und Simpson wechselten noch schweigend einen Händedruck mit ihren Genossen. Hatteras wollte noch mit einigen Worten Abschied nehmen, aber er traf rings nur auf böse Blicke. Um die Lippen Shandon’s glaubte er ein ironisches Lächeln spielen zu sehen. Er schwieg also. Einen Augenblick schien er auch, als er seine Blicke auf den Forward richtete, unentschlossen zur Abreise.
Doch – die Entscheidung war gefallen; beladen und bespannt wartete der Schlitten auf dem Eisfelde. Bell schritt voran; die Anderen folgten. Johnson begleitete die Reisenden noch eine Viertelmeile; dann bat ihn Hatteras, an Bord zurückzukehren, was der alte Seemann erst nach langem Abschiedwinken that.
Eben wandte sich Hatteras noch einmal um nach seiner Brigg und sah die Mastspitzen in dem Schneegewölke verschwinden.
Neunundzwanzigstes Capitel.
Ueber das Eisfeld.
Die kleine Truppe wandte sich gegen Südosten. Simpson lenkte den Schlitten, Duk unterstützte ihn eifrig und schien über die Thätigkeit seiner eingespannten Kameraden gar nicht besonders erstaunt. Hatteras und der Doctor machten den Schluß, indeß Bell, der vorausging, Bahn machte und mit der Eisenspitze seines Stockes den gefrorenen Boden untersuchte.
Der hohe Stand des Thermometers verkündete einen nahen Schneefall, der denn auch nicht lange auf sich warten ließ. Die dichten Flockenwirbel erhöhten die Schwierigkeiten der Reise; man wich von der geraden Linie ab und kam nicht schnell vorwärts, doch legte man im Mittel noch drei Meilen per Stunde zurück.
Das Eisfeld zeigte in Folge wechselnden Frosteinflusses eine ungleiche, höckerige Oberfläche; oft stieß der Schlitten heftig auf und neigte sich, je nach dem Wege, wohl bis zu bedrohlichem Winkel; doch ging noch Alles ohne Unfall ab.
Hatteras und seine Genossen waren dicht verhüllt in ihre nach Grönländer-Muster gefertigte Bekleidung, die sich durch ihre Form keineswegs vortheilhaft auszeichnete; dagegen war sie dem Klima angepaßt. Das Gesicht der Reisenden war von einer für Wind und Schnee undurchdringlichen Caputze umrahmt; nur Mund, Nase und Augen kamen in Berührung mit der Luft, und es wäre auch nicht gut gethan gewesen, diese Theile davor zu schützen. Es giebt nichts Unbequemeres, als hohe Kragen und Cache-Nez, welche in solcher Kälte sogleich steif gefrieren; im Gegentheil muß man für den Athem einen freien Ausweg lassen, der sonst, wenn er auf ein Hinderniß trifft, sogleich gefriert.
Die unermeßliche Ebene zeigte eine ermüdende Eintönigkeit; aufgethürmte Eisschollen, die immer den gleichen Anblick boten, Spitzhügel, deren Unregelmäßigkeit sich regelmäßig wiederholte, und Eisberge, zwischen denen sich gewundene Thäler hinschlängelten. Den Compaß in der Hand ging es vorwärts; die Reisenden sprachen wenig. In dieser kalten Luft war schon das Oeffnen des Mundes nicht ohne Beschwerden; spitze Eiskrystalle schossen sogleich zwischen den Lippen an, welche die Wärme des Athems kaum wieder zu schmelzen vermochte. Schweigend ging es weiter, und Jeder untersuchte erst mit dem Stocke den unbekannten Boden. Bell’s Schritte
Weitere Kostenlose Bücher