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Reisestipendien

Reisestipendien

Titel: Reisestipendien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gehabt, so wären diese es wohl kaum gewesen, die den Preis für geduldiges Abwarten davongetragen hätten.
    Die Erregtheit der jungen Geister erschien ja recht erklärlich: nicht zu wissen, nach welchem Teile der Erde Mrs. Kathlen Seymour sie senden würde! Dazu kommt ferner, daß es jetzt erst Mitte Juni war, und wenn die der Reise gewidmete Zeit in die Sommerferien fallen sollte, so galt es wenigstens noch sechs Wochen zu warten.
    Daß das anzunehmen war, darin stimmte der Direktor Ardagh mit den Lehrern der Schule überein. Die Abwesenheit der jungen Stipendiaten würde dann nicht über zwei Monate dauern. Sie wären im Oktober zum Eintritt in die Klassen wieder zur Stelle, gewiß ebenso zur Beruhigung ihrer Angehörigen, wie zur Befriedigung des Lehrpersonals der Anstalt.
    Bei der einmal festgesetzten Dauer der Ferien konnte von einer Reise in sehr entfernte Gegenden kaum die Rede sein. Die Klügsten hüteten sich auch, schon in Gedanken durch die Steppen Sibiriens, die Wüsten Zentralasiens, durch die Urwälder Afrikas oder die Pampas Amerikas zu reisen. Ohne die Alte Welt und selbst Europa zu verlassen, gab es ja außerhalb des Vereinigten Königreichs genug interessante Länder zu besuchen, wie Deutschland, Rußland, die Schweiz, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Holland oder Griechenland; diese lieferten ja eine Menge wertvoller Erinnerungen für das Tagebuch eines Touristen und boten den jungen Antilianern, die meist noch als Kinder den Atlantischen Ozean gekreuzt hatten, um sich nach Europa zu begeben, eine reiche Fülle neuer Eindrücke. Selbst auf die Nachbarländer Englands beschränkt, mußte eine solche Reise ja die Ungeduld und Neugier der jungen Leute aufs höchste erregen.
    Da das ersehnte Telegramm weder am ersten Tage noch an den folgenden eintraf, konnte der Direktor nur Antwort durch einen Brief erwarten, der von Barbados unter der Adresse: »Herrn Julian Ardagh, Antilian School, 314, Oxfordstreet, London, Vereinigtes Königreich Großbritannien« abgesendet sein mußte.
    Hier noch eine Bemerkung zu dem Worte »Antilian«, das über dem Haupteingange der Anstalt prangte. Ohne Zweifel war es erst besonders gebildet worden. In dem Namensverzeichnis der britischen Geographie findet man die Antillen nur als »Caraïbische Inseln« angeführt. Auf den Karten des Vereinigten Königreichs wie auf denen Amerikas sind sie niemals anders bezeichnet. Caraïbische Inseln bedeutet aber doch »Inseln der Caraïben«, und das erinnert zu unangenehm an die wilden, rohen Eingeborenen der betreffenden Gruppe, an die Schlächtereien und die Menschenfresserei, die Westindien so stark entvölkerten. Sollte nun über den Prospekten der Anstalt der abstoßende Name: »Schule der Caraïben« stehen? Hätte das nicht den Gedanken erweckt, daß man hier lehrte, einander umzubringen, und dazu Vorschriften zur Zubereitung von Menschenfleisch lieferte? Nein, da erschien doch »Antilian School« passender für junge, von den Antillen stammende Leute, die ja nur eine gründliche europäische Ausbildung erhalten sollten.
    An Stelle einer Depesche war also ein Brief zu erwarten, wenn dieser Wettbewerb um Reisestipendien nicht gar etwa auf einen albernen Scherz hinauskam. Doch nein… zwischen Mrs. Kathlen Seymour und dem Direktor Ardagh waren schon mehrfach Briefe gewechselt worden.
    Die freigebige, edle Dame war kein Luftgebilde, sie wohnte auf Barbados, man kannte sie dort seit langer Zeit und sie galt für eine der reichsten Damen der Insel.
    Jetzt hieß es also nur: sich die nötige Portion Geduld anzuschaffen, jeden Morgen und jeden Abend dem Postboten aufzulauern. Selbstverständlich waren es vorzüglich die neun Preisträger, die die nach der Oxfordstreet gelegenen Fenster belagerten, um den Briefträger ja sofort zu sehen. Wenn sich dann der rote Rock – bekanntlich ist die rote Farbe am weitesten hin erkennbar – auch erst in großer Entfernung zeigte, stürmten sie gleich zu Vieren die Treppe hinunter und in den Hof, drängten sich nach dem großen Tore, riefen den Briefträger an, betäubten ihn mit ihren Fragen und es fehlte nicht viel, so hätten sie ihm gleich seine Ledertasche entrissen.
    Nein… kein Brief von den Antillen… kein einziger! Da erschien es doch fast geboten, ein zweites Telegramm an Mrs. Kathlen Seymour mit der Anfrage zu senden, ob das erste richtig an seine Adresse gekommen wäre, und daneben mit dem Ersuchen, auf telegraphischem Wege Anwort zu geben.
    Inzwischen erging sich die

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