Reiterhof Birkenhain 08 - Achtung Pferde in Not
setzte sich auf die Böschung und stützte den Kopf in beide Hände. Sein Chef verlangte, sagte er, dass er den Transporter immer auf abgelegenen Feldwegen parkte, damit Tierschützer ihn nicht entdeckten.
Erst stockend, dann immer schneller berichtete Joseph in schwer verständlichem Deutsch die Sache mit den
Pferdetransporten aus seiner Sicht. Dass viele seiner Landsleute so wenig Geld haben, dass es nicht für die ganze Familie reicht. Dass sie darum jeden Job nehmen, den sie bekommen können. Auch er habe sich nicht träumen lassen, eines Tages Schlachtpferde durch Europa zu transportieren. Aber er habe dringend Geld verdienen müssen und nichts anderes gelernt, als Lastwagen zu fahren.
»Leute in Regierung sind schuld«, sagte er zum Schluss. »Politiker müssen andere Gesetze machen für arme Pferde.«
In das betretene Schweigen hinein fragte Jule: »Und warum stehen Sie hier mit Ihrem Transporter und sind nicht auf der Autobahn unterwegs?«
»Warte Ende von Pferde-Versteigerung ab«, sagte Joseph achselzuckend. Die Pferde, die bei der Auktion keinen neuen Besitzer fänden, würden billig an ihn verkauft. Sie kämen mit auf den Transporter nach Italien. »Habe schon zwei Braune drauf.« Er deutete auf seinen Hänger.
»Sie meinen . . . Pferde von der Versteigerung?«, fragte Imke stockend.
Joseph nickte.
Wie von Sinnen rannte Imke auf den Lastwagen zu. »Machen Sie sofort die Tür auf«, schrie sie. »Ich will die Pferde sehen. Alle.«
Joseph kam ihr zuvor und breitete die Arme aus. Abwehrend stellte er sich vor die breite Doppeltür.
»Nix öffnen«, sagte er mit Nachdruck. »Ist gefährlich.« Er merkte, dass die Situation zu entgleisen drohte. Darum sagte er barsch: »Geht weg! Schnell! Geht weg!« Die anderen waren Imke ein paar Schritte gefolgt. Bastian packte das aufgebrachte Mädchen am Arm.
»Mach dich nicht verrückt«, beschwor er Imke und zog sie zurück. »Das müsste ja ein schrecklicher Zufall sein, wenn Deichgraf ... «
»Ich muss weg hier«, sagte Conny mit gesenktem Blick. »Sonst werde ich noch verrückt.« Ohne sich umzudrehen, ging sie mit den anderen zum Auto. Imke war kreidebleich.
Connys Gedanken überschlugen sich. Sie musste etwas für die armen Pferde tun, das stand fest. Aber was? Bis morgen früh stand der Transporter noch hier. Bis dahin musste sie sich etwas einfallen lassen.
Joseph blickte hinter ihnen her und drehte dabei seine Mütze in der Hand zusammen, bis sie völlig verknittert war.
Al wendete auf dem Feldweg. Als sie noch einmal an dem roten Transporter vorbeifuhren, wagte es niemand, einen letzten Blick auf den Braunen zu werfen, der seine Zähne am Gitter wetzte. Nicht mal Al wollte erneut in diese Augen sehen.
In letzter Sekunde riss Bastian seine Sofortbild-Kamera hoch und machte in einer plötzlichen Eingebung aus dem offenen Autofenster zwei Fotos. Eins vom Transporter, ein zweites vom Nummernschild.
Während der Rückfahrt auf der Bundesstraße nach Hamburg sagte keiner ein Wort.
Aber jeder wusste von dem anderen, was ihm durch den Kopf ging - Bilder von Pferdetransporten. Bei Verkehrskontrollen entdeckte die Polizei immer wieder entkräftete Tiere, die auf engstem Raum zusammengepfercht waren.
Oft war so ein voll gestopfter Transporter schwerer als erlaubt. Dann wurden nicht etwa die Tiere ausgeladen. Nein, die LKW wurden einfach einen Tag auf dem Parkplatz stehen gelassen. Die Tiere mussten hungern, bekamen nicht einmal Wasser. Erst wenn die Pferde die nötigen Kilo »abgenommen« hatten, ging die Fahrt weiter. Erst kürzlich stoppte die Autobahnpolizei bei Göttingen einen Lastwagen mit 14 Schlachtpferden aus Osteuropa, die in einem jämmerlichen Zustand waren ...
»Und was ist, wenn Deichgraf doch... «, unterbrach Im-ke Zavelstein die Stille. Sie biss sich auf die Lippen. Den Satz wollte sie auf keinen Fall zu Ende denken, geschweige zu Ende sprechen. Imke wusste, sie bekam kein Wort heraus, ohne loszuheulen.
Zwar hatte die neue Besitzerin ihr fest versprochen
Deichgraf als Beistellpferd zu behalten. Ja, sicher. Aber hatte Imke nicht schon oft erlebt, dass Erwachsene sich nicht an ihre Versprechen hielten?
»Würde mich wirklich nicht wundern«, schaltete Al sich ein, »wenn Deichgraf auf die Reise nach Italien geht.«
Er stellte seinen Rückspiegel so ein, dass er Imke beobachten konnte. »Meinst du, ein Pferdebesitzer will endlos Geld in den Tierarzt stecken?«
Imke wurde noch eine Spur blasser und die anderen stöhnten entsetzt auf.
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