Reiterhof Birkenhain 10 - Ende für die Reitschule
Frau Mühlberg schrie auf. »Du fällst!«
Jule linste erschreckt durch ihre hochgestreckten Arme nach unten. Sie war dabei, einen Vorhang vor der Umkleidekabine aufzuhängen. Der Stuhl, auf dem sie stand, schaukelte gefährlich.
Mit einem Satz standen Bastian und Luisa hinter ihr. Gleichzeitig umklammerten sie Lehne und Jule und brachten so den wackelnden Stuhl zum Stehen. »Danke«, murmelte Jule und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ohne die beiden wäre sie wohl heute mit einem Gipsbein nach Hause gekommen.
Bastian hob Jule vom Stuhl und lehnte sie an die leere Wand des Reitershops, direkt neben eine Schaufensterpuppe.
»So, hier bleibst du jetzt stehen. Am besten, wir stellendich zusammen mit dem Plastikmädel ins Fenster«, grinste er, »dann kannst du nichts anrichten.«
»Ich glaube, Jule macht das extra, damit du sie auffangen kannst«, rief Conny zu Bastian hinüber.
Sie selbst hatte sich einen Platz in Frau Mühlbergs Laden ausgesucht, wo sie allein werkeln konnte - das Schaufenster. Uber eine niedrige Bank konnte man in die Fensterauslage steigen. Auf der Bank lagen Preisschilder und Pferdeposter kreuz und quer übereinander.
Conny griff nach einem Plakat und brachte es mit Klebestreifen im Fenster an. »Hier wird demnächst ein Reitershop eröffnet«, stand auf dem Schild.
Wie hatte sie sich darauf gefreut, endlich einen Reitershop in der Nähe zu haben. Aber nun... würde sie hier jemals etwas kaufen? Wenn Birkenhain schließen musste - wo sollte sie dann reiten? Wollte sie überhaupt noch reiten? Ihr ging es im Grunde gar nicht ums Reiten, sondern um ihren geliebten Rocky. Ihn zu vergessen, bei einem anderen Pferd in den Sattel zu steigen, das war in Connys Augen Verrat.
Mit einem Seufzer bückte sie sich nach einer Hand voll Hufkratzer, um sie zu dekorieren. Conny nahm sich vor, heute auf keinen Fall mehr an das Ende des Reiterhofs zu denken. Obwohl es schwer war, die düsteren Gedanken zu verscheuchen, riss sie sich zusammen.
Draußen vor dem Fenster verlief die Hamburger Allee. Auf dem Bürgersteig herrschte reger Betrieb. Neugierig blieben die Fußgänger stehen, um zu sehen, was in dem neuen Laden angeboten wurde.
Zwei Mädchen klopften an die Scheibe und machten eine begeisterte Handbewegung, die Conny so deutete: »Toll, der neue Reitershop.«
Conny winkte nach draußen zurück und musterte dann kritisch ihr Werk im Schaufenster. Die rechte Hälfte konnte sich schon sehen lassen. Rote und blaue Putzkästen stapelten sich in der Ecke, die obersten geöffnet, damit man hineinsehen konnte. Striegel aus Plastik und Gummi lagen darin, Kardätschen mit Holzrücken, Wurzelbürsten, Hufkratzer, silberne Mähnenkämme.
Jetzt kamen die nächsten Meter des Schaufensters an die Reihe.
»Habt ihr mal Trensen und Zügel für mich? Und Halfter?«, fragte Conny.
Keine Antwort.
Sie reckte den Hals. Große Mengen an Schachteln, Kartons und Folienpaketen türmten sich auf dem blauen Teppich. Zwei Baustellen-Strahler warfen gleißendes Licht auf Bücherhaufen und Zeitschriften auf der Erde. Es roch nach Leder, Wandfarbe und Druckerschwärze. Ein hohes Regal für Pferdedecken, Bandagen, Putzzeug und Kappen teilte den Laden in der Mitte. An der hinteren Wand lief eine lange, leere Kleiderstange entlang. Nur der Kassentisch wirkte schon gemütlich. Eine Milchglas-Leuchte vom Flohmarkt tauchte den Tresen in behagliches Licht.
»Trensen und Zügel!«, rief Conny, diesmal lauter. »Noch nicht ausgepackt.«
Ulrike Mühlbergs Stimme kam irgendwoher zwischen Bergen von Reithosen.
»Okay, dann nehme ich fürs Fenster erst mal... Gamaschen und Decken.«
»Auch nicht ausgepackt.«
»Was ist mit Reithosen . .. Turnierblusen ... Westen?« Ulrike Mühlberg kam mit Kleidungsstücken bepackt hinter dem Regal hervor. Mit ausgestreckten Armen legte sie die Sachen auf die Ablage.
»Reicht das? Hier . .. fang auf, Conny.«
Eine Rolle Plastikschnur flog zu Conny herüber. »Damit kannst du die Sachen aufhängen.«
Jule bahnte sich einen Weg durch das Karton-Dickicht. Sie schleppte die Schaufensterpuppe heran.
»Die kannst du auch gleich aufstellen, Conny. Klasse angezogen, was? Du musst ihr nur noch eine Reitkappe aufsetzen.«
Die nächsten Stunden verbrachten die Jugendlichen damit, Kartons aufzureißen und Reiterkleidung und Pferdeausrüstung einzusortieren. Das Oberkommando bekam Luisa Steffen, sie besaß den besten Ordnungssinn.
Luisa ließ nichts durchgehen. Keine Ungenauigkeit beim
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