Religionen der Menschheit – Das EBook Weltreligionen sciebooks.de (German Edition)
breitete sich der Bahaismus schon zu Lebzeiten des Baha’u’llah schnell auch über das iranisc he Stammland hinaus aus, zumal d ie entstehende Lehre vielen Gebildeten als moderne, friedfertige, wissenschaftliche und geschlechtergerechte Alternative zu den etablierten Monotheismen erschien. Abdul Baha begann als von seinem Vater beauftragter „Ausleger“ einerseits die Sammlung und Edition seiner Schriften, verfasste aber auch eine Reihe eigener Texte. Diese werden jedoch nicht als eigene Offenbarungen Abdul-Bahas, sondern als dessen erleuchtete Auslegungen verstanden.
Noch immer in osmanischer Verbannung erlangte er dabei durch interreligiöses und sozialkaritatives Engagement gerade auch während der Kriegsjahre einiges Ansehen. Als Abdul Baha mit dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches endlich Reisefreiheit erlangte traf er auf Lehrreisen durch Ägypten, Europa und die Vereinigten Staaten bereits auf kleine, aber aufblühende Bahai-Gemeinden. 1920 wurde er sogar von Offiziellen des britischen Empire ausgezeichnet, in deren Wahrnehmung er als verbündeter, regional verantwortungsvoller Religionsführer galt.
1937 wurden die noch kleinen, deutschen Bahai-Gemeinschaften sowie der 1923 gegründete Geistige Rat der Bahai in Deutschland durch die Nationalsozialisten verboten. Es kam zu einzelnen Verhaftungen, Inhaftierungen und auch Deportationen. 1946 konnten die überlebenden Bahai die Gemeindearbeit wieder aufnehmen und 1962 – trotz vieler Vorurteile gegen die damals noch als „islamische Sekte“ verunglimpfte Gruppe – in Langenhain am Taunus ein deutsch-europäisches Haus der Andacht errichten. In Stuttgart wurde ein Haus, in dem Abdul Baha bei seiner Reise Aufnahme gefunden hatte, der Gemeinde vermacht, die sich dort versammelt und auch den Raum in Ehren hält, in dem der Sohn ihres Stifters einst weilte.
In seinem Testament ernannte Abdul Baha seinen ältesten Enkel Shogi Effendi (1897 – 1957) zu seinem Nachfolger. Auch dieser betätigte sich noch als Herausgeb er und Verfasser von Schriften, konzentrierte sich aber darüber hinaus auf den Aufbau der entstehenden Pilgerorte und von Gemeindestrukturen. So ordnete er die freie und geheime Wahl lokaler und nationaler „Geistiger Räte“ an und formulierte Pläne und Strategien für das Wachstum der Gemeinde und den daraus folgenden Frieden s schluss der Völker.
Als Shogi Effendi 1957 überraschend und ohne Nachfolger und Testament in London verstarb, setzte sich nach kurzen, aber heftigen Konflikten die von ihm bereits skizzierte Wahl eines neunköpfigen „Universalen Haus der Gerecht igkeit“ als Ordnungsprinzip durch. Seit 1963 amtiert ein entsprechend gewähltes Gremium an der Spitze der Bahai , das in Erforschung, Herausgabe und Kommentierung der Heiligen Schriften lehramtlich wirkt . Die Phase schriftlicher Offenbarungen gilt gleichwohl als abgeschlossen, erst der nächste Offenbarer in etwa einem Jahrtausend wird wieder Textzeugnisse als direkte Gottesoffenbarungen verkünden können. Auch wird weiter darauf Wert gelegt, dass es keine Bahai-Geistlichen gibt, sondern jede und jeder Bahai zur Mitarbeit an Aneignung und Umsetzung der Botschaft aufgerufen ist.
Schätzungen zur weltweiten Verbreitung der Glaubenstradition reichen von unter fünf bis zu acht Millionen Anhängern. Bahai sind zur strikt gewaltfreien Verbreitung ihres Glaubens durch Wort und gute Tat aufgerufen , aggressive Mission oder Mitgliederwerbung mit Manipulation oder Zwang sind ihnen jedoch strikt untersagt. Derzeit verzeichnen sie vor allem in Schwellenländern weiter wachsende Gemeinden. Auch in islamisch geprägten Gesellschaften trifft ihre Botschaft oft auf Interesse, wird jedoch von Extremisten und Nationalisten als Abfall vom Islam bekämpft, meist staatlich diskriminiert und bisweilen – besonders im Iran – auch blutig verfolgt. Wie weitere, deutlich kleinere Zweige des Babismus halten sich Bahai daher häufig im Verborgenen, ihre genaue Zahl ist daher schwer abzuschätzen.
In den westlichen Ländern scheint das Wachstum der Bahai-Gemeinden abzuflachen. Gründe dafür dürften die allgemeine Säkularisierung, nach der auch die Ansprüche des Bahaiglaubens vielen als unzumutbar erscheinen, der nachlassende Neuigkeitswert der Bewegung und fehlender Nachwuchs sein. Während die orthodoxen Flügel etwa von Juden und Sikhs Ehen innerhalb der Gemeinde und Kinde rreichtum fordern und fördern, gilt für die im Westen überwiegend bürgerlichen Bahai nur eine
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