Religionen der Menschheit – Das EBook Weltreligionen sciebooks.de (German Edition)
Frage beantwortet. Immerhin gab es viele verschleppte Völker und Heilige Schriften. Warum streifte ausgerechnet das frühe Israel nach und nach den bilderreichen Polytheismus ab und wurde zu einer Tradition, die aus und in der Schrift lebte?
Der deutsch-jüdische Philosoph Moses Mendelssohn (1729 – 1786) , der unter anderem eine Übersetzung der hebräischen Tora ins Deutsche vorgenommen hatte, bemerkte: „Mich dünkt, die Veränderung, die in den verschiedenen Zeiten der Kultur mit den Schriftzeichen vorgegangen, habe von jeher an den Revolutionen der menschlichen Erkenntnis überhaupt und insbesondere an den mannigfachen Abänderungen ihrer Meinungen und Begriffe in Religionssachen sehr wichtigen Anteil.“
Auch der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann (geb. 1938) bemerkte im Fazit einer religionsvergleichenden Studie der nahöstlichen Antike: „ Vieles spricht dafür, dass der jüdische Monotheismus, das Prinzip der Offenbarung und die aus diesem Prinzip entwickelte und sich immer mehr steigernde Abscheu gegen traditionelle Formen des Kultes aus dem Geist der Schrift geboren sind.“
Und tatsächlich wies der Neuroanatom Detlef Linke (1945 – 2005) darauf hin, dass ein vokalarmes Alphabet wie das (Alt-)Hebräische nur gelesen werden könne, indem die Lesenden Wort für Wort die Vokale einfügten. Dies wird vorwiegend in der rechten Gehirnhälfte geleistet, weswegen sich Hebräisch (und ebenso z.B. das ebenfalls vokalarme Arabisch) leichter von rechts nach links („linksläufig“) lesen lässt. Und: In dieser intensiven Gehirnleistung könnten die Lesenden buchstäblich versinken, insofern sie nicht durch zusätzliche Bilder, Töne oder weitere Ablenkungen überfordert und gestört würden. Nach Linke war es also geradezu zu erwarten, dass sich Hebräisch-Lesende zunehmend von Bildkulten abwenden und einen transzendenten, sich über die Schrift offenbarenden Gott entdecken würden.
Mehr noch: Es sei kein Wunder, dass nach der griechischen Übersetzung der Bibel in die „Septuaginta“ im ersten Jahrhundert vor Christus die Tradition herausgefordert wurde. Griechisch ist vokalisiert und wird vor allem in der (analytischeren) linken Hirnhälfte verarbeitet, weswegen sich die Schriftrichtung auch ins „rechtsläufige“ ändert. Die beglückenden Schrifterfahrungen seien so nicht mehr zugänglich gewesen, griechisch Lesende hätten zunehmend wieder nach bild- und gefühlsreichen Ergänzungen gesucht – und diese schließlich häufig in den dramatischen Passionserzählungen Jesu gefunden.
Wie es Papst Benedikt XVI. formulierte: „Heute wissen wir, dass die in Alexandria entstandene griechische Übersetzung des Alten Testamentes – die Septuaginta – mehr als eine bloße (vielleicht wenig positiv zu beurteilende) Übersetzung des hebräischen Textes, sondern ein selbständiger Textzeuge und ein eigener wichtiger Schritt der Offenbarungsgeschichte ist, in dem sich die Begegnung auf eine Weise realisiert hat, die für die Entstehung des Christentums und seine Verbreitung entscheidende Bedeutung gewann.“
Zwar steht die wissenschaftliche Erforschung dieser Wechselwirkungen noch am Anfang. Doch es darf bereits als gesichert gelten, dass es bei den Erfahrungen, die wir Menschen beim Lesen machen können, nicht nur auf die Inhalte, sondern auch auf die Formen und Strukturen der Schriften ankommt. Das Judentum formierte sich so entlang seiner Schrift, wie auch das Christentum, der Islam und womöglich auch die indischen und chinesischen Religionen je ihre eigenen Leseerfahrungen verarbeiteten. Ob wohl die Ausbreitung des Internets und der EBooks wiederum auch neue religiöse Erfahrungswelten hervorrufen wird?
2.1 Christentum – Zentrale Glaubenslehren
Christen glauben, dass sich der Eine Gott der abra hamitisch-jüdischen Tradition durch Jesus Christus für alle Menschen offenbart hat.
Indem dieser Jesus als Gottes Sohn Verkündung und dann auch Leiden und den furchtbaren Tod am Kreuz auf sich genommen habe, sei allen Menschen (und, zum Beispiel nach Origenes , am Ende der Zeiten vielleicht sogar dem Satan) die Vergebung und Versöhnung zugesprochen worden. Sie müssten sie in Umkehr, Glaubensbekenntnis und Taufe nur noch annehmen.
Das Christentum organisierte sich von Anfang an in Gemeinden (griechisch ekklesia = Versammlun g), aus denen Kirchen wurden. Neben der römisch-katholischen Kirche bestehen he ute zahlreiche orthodoxe und evangelische Kirchen sowie,
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