Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Holzbänken. Einige spielten Karten, andere starrten teilnahmslos in die Luft oder rauchten schweigend ihre Pfeife. Meine Augen tränten, die Luft in dem Raum war eine Mischung aus Eiter, Tabak und verbranntem Torf.
Der Doktor war gerade im Gespräch mit einer zahnlosen Alten, die ihm eine Flasche mit einer gelblich trüben Flüssigkeit reichte. Er nahm die Flasche, schüttelte sie und hielt sie gegen das Licht. Anschließend holte er verschiedene irdene Gefäße aus einem Regal und füllte aus jedem etwas, das wie Kräuter oder getrocknete Blüten aussah, in ein Leinensäckchen ab.
„Daraus müsst Ihr einen Sud machen und dreimal täglich eine Tasse davon trinken. Und esst keine scharf gewürzten Speisen. Wenn es nicht besser wird, kommt in einer Woche noch einmal wieder.“
Die Alte murmelte ein paar Worte des Dankes und holte unter ihrem Umhang ein totes Huhn hervor. Umständlich griff sie nach ihrem Stock und humpelte hinaus.
Der Arzt begrüßte uns mit einem Kopfnicken.
„Guten Tag, Rebekka Willems, wo drückt denn der Schuh? Ist es wieder der Rücken, oder fehlt dem Jungen etwas?“
„Das ist Samuel, unser neuer Schüler, der ist kerngesund, Mijnheer Medicus. Und ich komme auch nicht meinetwegen. Es geht um den Meister. Seit zwei Tagen liegt er im Bett, starrt immer nur vor sich hin und mag auch nicht aufstehen. Sein rechter Arm ist ganz taub. Ich möchte Euch bitten, einmal zur Rozengracht zu kommen, um Euch selbst ein Bild zu machen.“
„Sagt Eurem Herrn, dass ich am Nachmittag nach meiner Sprechstunde nach dem Rechten sehe. Der Meister soll bis dahin viel trinken. Wickelt ihm ein Tuch um den Arm, das Ihr zuvor in Essig getränkt habt.“
Der Doktor verabschiedete uns und wandte sich dem nächsten Patienten zu, einem kleinen Jungen, der einen blutigen Verband um den Kopf trug und leise vor sich hin wimmerte. Der Junge erinnerte mich an meinen jüngsten Bruder Johannes, den ich manchmal, wenn ich abends allein in meiner Kammer war, vermisste. Wie auch meine Eltern und die übrigen Geschwister.
Doch immer, wenn ich Heimweh verspürte, versuchte ich, derartige Gedanken zu verscheuchen und mir stattdessen vorzustellen, wie es sein würde, wenn ich einmal ein berühmter Maler wäre, bekannt und geachtet in ganz Holland. Es waren wundervolle Bilder, die in meiner Phantasie entstanden. Sie gaben mir Trost, und ich schöpfte neuen Mut. Doktor de Witte kam erst am Abend. Er fühlte bei dem Meister den Puls, betastete den tauben Arm und untersuchte Augen und Zunge.
„Ihr habt eine böse Entzündung im Arm. Ich werde einen Aderlass machen, damit die Giftstoffe aus dem Körper herausgezogen werden. Außerdem schlägt Euer Herz zu langsam, deswegen fühlt Ihr Euch so schwach. In einem solchen Fall hilft nur Ruhe. Ihr müsst jede Anstrengung vermeiden und dürft auch nicht arbeiten. Das Stehen an der Staffelei könnte bei Eurem Zustand Schwindel erzeugen. Und esst kein grünes Gemüse, um die Galle nicht zusätzlich zu reizen.“
Der Arzt ließ Rebekka eine Schüssel aus der Küche holen. Er klappte seinen ledernen Koffer auf und entnahm ein zylinderförmiges Instrument mit einer langen, spitzen Nadel. Diese stach er dem Meister in den Hals. Bald war die ganze Schale mit Blut gefüllt. Währenddessen blieb Cornelia neben dem Bett stehen und streichelte ihrem Vater die Hand. Gleichzeitig aber wandte sie den Kopf und schaute in eine andere Richtung.
Dezember 1668
Jeden Nachmittag kam der Doktor zur Rozengracht und sah nach seinem Patienten. Der Zustand des Meisters besserte sich ein wenig. Hin und wieder konnte er für eine Weile aufstehen und im Zimmer umhergehen oder zum Essen an den Tisch kommen. Doch der Arm blieb auch weiterhin ohne Gefühl.
Als der Meister einmal wie gewöhnlich nach der Abendmahlzeit aus dem Evangelium vorlas, nestelte Rebekka nervös an ihrer Haube und strich sich verlegen die Schürze glatt.
„Mijnheer, ich kann es Euch nicht länger verschweigen. Der Doktor wird bald sein Geld einfordern. Aber wovon sollen wir ihn bezahlen? Seit dem Tod Eures Sohnes hat das Geschäft keinen Stuiver mehr eingebracht.“
Der Meister saß in einem alten Fassstuhl, den Rebekka für ihn mit Kissen ausgepolstert hatte. Er schüttelte den Kopf so heftig, dass seine Haube ins Rutschen geriet, und ballte die gesunde Hand zur Faust, die er zornig in der Luft schwenkte.
„Geld, immer nur geht es ums Geld. Ich habe keins. Soll der Doktor doch ein Bild als Honorar erhalten. Mir fällt gerade ein, dass
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