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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Guggenheim
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Titus im Sommer für eine meiner Radierungen fünfzehn Gulden erzielt hat. Diese Summe müsste ein angemessenes Honorar für seine Behandlung sein.“
    Cornelia sah bekümmert zu ihrem Vater, während die Katze ihr schnurrend um die Beine strich und einen Buckel machte. Sie beugte sich zu dem Tier hinunter und kraulte sein Fell, als wolle sie sich mit dieser zärtlichen Berührung von ihren trüben Gedanken ablenken.
    „Samuel, komm einmal her“, rief der Meister und winkte mich mit der gesunden Hand zu sich.
    „Geh nach oben auf den Boden. In der Truhe unter dem Dachfenster liegt ein braunes Lederalbum. Ungefähr in der Mitte findest du ein Blatt mit einer Szene, wie Christus mit erhobenen Händen zu den Menschen predigt. Ich glaube, diese Darstellung könnte dem Doktor gefallen.“
    Ich nickte, denn das Bild war mir bereits am ersten Tag aufgefallen und wegen seines kraftvollen Ausdrucks in Erinnerung geblieben. 3 Ich tat, wie der Meister mir aufgetragen hatte, und brachte die Radierung zu Doktor de Witte. Andächtig nahm der Arzt das Blatt in die Hand.
    „Richte Meister Rembrandt meinen Dank aus, Samuel. Es ist eine Darstellung, die von hoher Kunstfertigkeit und großer Wahrheitsliebe zeugt. Ich will das Bild jedoch lieber behalten und es keinesfalls verkaufen. Dein Meister soll weiterhin allzu große Anstrengung vermeiden. Wenn es dem Allmächtigen gefällt, so wird er bald wieder genesen.“

    Am Morgen des folgenden Tages kam Rebekka aufgeregt in die Stube und schwenkte einen Brief über ihrem Kopf.
    „Mijnheer, soeben brachte ein Bote diese Nachricht. Wir haben schon lange keine Post mehr erhalten. Wer könnte Euch wohl schreiben?“
    „Bestimmt wieder einer von diesen Wucherern, die Geld von mir haben wollen. Als ob ich nicht schon genug zu erdulden hätte.“
    Nur widerwillig ließ der Meister sich den Brief öffnen und las mit zusammengekniffenem Mund. Ganz allmählich entspannten sich seine Züge.
    „Stell dir vor, Rebekka, es handelt sich um einen Auftrag. Von Thomas Anslo, dem Salzhändler aus der Warmoestraat. Er hatte mich kurz vor Titus’ Tod aufgesucht. Ich habe damals ein paar Skizzen von ihm gemacht. Nun möchte er, dass ich sein Porträt in Öl fertige, weil er mit seiner Familie nach Brasilien auswandern wird. In vier Wochen soll das Bild fertig sein.“
    Doch die anfängliche Freude des Meisters war schnell wieder vorüber. Wütend zerknüllte er mit der linken Hand den Brief und warf ihn Richtung Kamin, wo er sogleich in den Flammen verglühte.
    „Ich werde dem Salzhändler eine Nachricht zukommen lassen, dass ich krank bin und den Auftrag nicht erfüllen kann. Er soll zu einem anderen Maler gehen.“
    Rebekka schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verschwand eilig in der Küche.
    Der Meister drehte sich zu mir um. Sein Gesicht war aufgedunsen und fahl, er sah erschöpft aus.
    „Ich muss mit dir reden, Samuel. Du siehst ja selbst, wie es um mich bestellt ist. Ein Maler, der nicht mehr malen kann, ist wie eine Windmühle ohne Flügel. Ich bin zu nichts mehr nutze. So vieles habe ich in meinem Leben schon verloren. Zwei Frauen, vier Kinder, meinen ganzen Besitz. Die Fähigkeit zu malen war das Einzige, das mir noch geblieben ist.“
    Mein Herz wurde schwer, als ich den Meister so reden hörte. Cornelias Katze strich ihm um die Beine und rieb ihr Kinn an der Spitze seines Pantoffels. Als hätte das Tier die Worte verstanden und wollte ihm mit seiner Berührung Trost spenden.
    „Wenn meine Hand den Pinsel nicht mehr halten kann“, fuhr der Meister verbittert fort, „was soll ich da noch mit einem Schüler? Ich brauche dich nicht mehr, Samuel. Such dir so schnell wie möglich einen anderen Meister. Einen, der gesund und kräftig ist. Der wird dir alles zeigen, was man in diesem Handwerk lernen muss.“
    Ich erschrak. Den Meister, den ich so sehr bewunderte, verlassen? Keine Farben mehr für ihn rühren, nie mehr in seinem Atelier die Fensterläden öffnen, damit das Tageslicht auf die Staffelei fällt und sein Werk erhellt? Ihm nicht mehr bei der Arbeit zuschauen, wie er mit wenigen Pinselstrichen alle Gedanken und Gefühle eines Menschen auf die Leinwand bannt und dessen Inneres sichtbar machte? Und noch etwas konnte ich mir gar nicht vorstellen. Sollte Cornelia auf einmal aus meinem Leben verschwinden, die mir doch inzwischen so selbstverständlich und vertraut geworden war?
    Ich warf ihr einen verzweifelten Blick zu. Doch sie hob mit einem raschen Griff die Katze auf ihren

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