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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Guggenheim
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Stelzen um die Wette liefen, einen Kreisel zwischen die Füße der Passanten wirbelten, der einen alten Mann beinahe zu Fall gebracht hätte.
    Auf den Grachten fuhren voll beladene Schuten, deren Rümpfe in Blau, Rot, Grün und Schwarz gestrichen waren. Von allen Seiten hörten wir Pferdegetrappel und Peitschenknallen.
    „Aus dem Weg! Rattenpack!“, brüllte ein Kutscher und lenkte seine Pferde dicht an einem Hinkenden vorbei, der vor Schreck zusammenzuckte und sich angstvoll gegen eine Hausmauer drückte.
    „Der Teufel soll dich holen!“, brüllte der Lahme hinter ihm her und schwenkte wütend seinen Stock in der Luft.
    Immer wieder mussten wir Fuhrwerken ausweichen, die über die gepflasterten Straßen holperten. Händler mit ihren Handkarren zogen an uns vorbei. Die ganze Stadt schien erfüllt von Arbeit, Anstrengung und Fleiß.

    Mehrmals blieb ich stehen und staunte über so viel Geschäftigkeit, doch mein Vater mahnte mich zur Eile. Wir zwängten uns durch die Menschenmenge und gelangten zu einem Marktlatz. Die Verkaufsstände waren voll mit Waren, von denen ich die meisten überhaupt nicht kannte. Gemüse und Früchte, Fische mit Stacheln und silbrig glänzenden Schuppen, Schalentiere, Fleisch und Geflügel, golddurchwirkte Stoffe, exotische Kleidung, ja sogar Gemälde. Gewürze aus fernen Ländern verströmten fremdartige Gerüche.
    Ein Mann in einem langen, grauen Mantel und mit einem hohen, spitzen Hut stand breitbeinig auf einer Bühne und mühte sich, die Rufe der Händler noch zu übertönen. Er pries Pulver und Salben gegen Runzeln, Warzen und Männerschwäche an, wobei er Daumen und Zeigefinger in der Luft miteinander verschränkte und seltsame Handzeichen machte. Einige jüngere Frauen, die sich um das Podest herum versammelt hatten, gackerten wie Hühner, die der Fuchs aufgescheucht hatte.
    Der Redner wandte sich einem alten Mann zu, der neben ihm auf einem Stuhl saß und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Backe hielt. Der Heilkünstler, wie der Graue sich nannte, nahm eine Zange, riss dem Alten mit der einen Hand den Mund auf, stieß mit der anderen Hand die Zange hinein und hielt sie wenig später mit einer triumphierenden Geste hoch. Die Zuschauer johlten und applaudierten. Der Mann auf dem Stuhl reckte beide Arme in die Luft, schrie laut auf und fluchte.
    „Au! Aah! Fahr doch zur Hölle, elender Lügner! Hätte ich doch nur auf meine Frau gehört und regelmäßig mit ihrem Kräuteraufguss gegurgelt.“
    „Habt ihr das gehört?“, rief der Mann mit dem Spitzhut der Menge zu, „er glaubt einem Weib mehr als einem anerkannten Heilkünstler wie mir, der schon im ganzen Land unzählige Wunderdinge getan hat.“
    „He, Alter, was bist du so zimperlich! Ein fauler Zahn muss raus, sonst fault irgendwann der ganze Mann“, plärrte eine Frau mit einem pockennarbigem Gesicht und schimpfte hinter ein paar Kindern her, die einer Katze eine Glocke an den Schwanz gebunden hatten. Laut fauchend verschwand das Tier unter einem der Fischstände, während die Umstehenden laut lachten.
    Eine Horde stinkender Bettler schlich um die Marktstände. An ihren ausgemergelten Körpern hing die schmutzige, zerrissene Kleidung schlaff herunter. Ihre Gesichter waren bleich und hohl. Einige waren ohne Fuß oder Bein und bewegten sich nur schwerfällig an Krücken.
    „Erbarmen, ihr guten Leute, wir haben Hunger. Gebt uns doch ein wenig Brot.“
    Obwohl sie mir Angst machten, hatte ich Mitleid mit diesen Menschen. Ich nahm ein Stück Schwarzbrot, das ich vor der Abreise eingesteckt hatte, aus meinem Proviantbeutel und gab es dem Jüngsten von ihnen. Er mochte kaum älter sein als ich, hatte feuerrote Haare und schleifte ein Bein hinter sich her. Seine ganze Erscheinung drückte Hoffnungslosigkeit aus. Kaum dass er das Brot mit gierigen Fingern an sich genommen hatte, stürzten die anderen sich auf ihn, schlugen ihn mit ihren Krücken und versuchten, einen Brocken davon zu ergattern.

    Schließlich erreichten wir die Westerkerk. Die mächtige Kirche lag direkt an der Prinsengracht. Jenseits des Kanals begann das Jordaan-Viertel. In dieser Gegend wohnten hauptsächlich Gerber, Färber und Bäcker, wie die bunten Ladenschilder verkündeten. Ein Rattenfänger zog von Tür zu Tür und verkaufte Fallen und Arsenkuchen. Einige seiner Opfer hatte er an eine Schnur geknotet und sich über die Schulter gehängt.
    Wir gingen die Rozengracht hinunter. Die dicht nebeneinander stehenden Häuser waren schmal und nicht sehr hoch,

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