RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Schuhe zu putzen, Fussböden zu wischen und auch sonst alles zu erledigen, was ihnen die Deutschen befahlen. Jahrelang war eine arme Nichtjüdin jeden Sabbat-Morgen zu den Kornreichs gekommen, um das Feuer anzuzünden und das Essen aufzuwärmen, das Mama am Tag zuvor zubereitet hatte. Gemäss den neuen Bestimmungen durfte sie nicht mehr ins Haus kommen oder sonst irgendetwas für die Kornreichs tun. Sie weinte, als sie zum Verabschieden kam, doch wie für die anderen Juden in Tylicz auch, kam es für die Kornreichs nicht mehr in Frage, am Sabbat Feuer zu machen - damit hätten sie gegen das orthodoxe Gesetz verstossen. Da keine Hilfe eingestellt werden durfte, blieb Papa und auch den anderen jüdischen Bauern nichts anderes übrig, als Überstunden zu machen, um die Ernte einzubringen. Danka und Rena arbeiteten von der Morgendämmerung bis in die späten Abendstunden, teilten sich die Hausarbeit für die Deutschen und den eigenen Hof.
Da kein Gesetz verbat, Leistungen gegen Ware einzutauschen, wurden Zosias Näharbeiten zum Tauschobjekt für Butter, Käse, Mehl. Es gab noch immer nicht j üdische Bauern, die mit ihren jüdischen Nachbarn Geschäfte machten, denn Tylicz war eine fest zusammengewachsene Gemeinde, und die Deutschen waren nicht geachtet, nur gefürchtet .
Seit dem Einmarsch der Deutschen, als Zosias Ehemann Nathan gemeinsam mit den anderen tauglichen Männern des Landes zur polnischen Armee gegangen war, hatten die Kornreichs nichts mehr von ihm gehört. Dann kam im Oktober eine Karte mit einer russi s chen Briefmarke. Zosia übergab sie an Mama, faltete ihre Hände vor dem Gesicht, als spräche sie das Sabbat-Gebet, und wartete auf die Nachrichten.
Mama räusperte sich. „Liebe Familie. Dort, wo ich bin, ist es sehr kalt. Ich liebe euch alle. Nathan.“
Sie starrten zu Boden, als Zosia schluchzte: „Er muss in Sibirien sein.“
Zosia Sohn Herschel wurde schwe r krank und benötigte eine Operation, aber die neuen Regelungen erlaubten den Juden nicht, einen Arzt aufzusuchen. Die slowakischen Juden wurden weniger grob behandelt als die polnischen Juden, vermutlich weil die Slowakei von Deutschland annektiert worden war. Sie durften arbeiten und Geld verdienen, wurden nicht gezwungen den Stern zu tragen, und, was für Herschel von grösster Bedeutung war, sie erhielten medizinische Hilfe.
„Wenn wir es über die Grenze schaffen, kann es doch gar nicht so schwer sein, zu Onkel Jakob in Bardejov zu kommen. Herschel könnte dort wenigstens behandelt werden“, erklärte Zosia. „Wer weiss, wo Nathan jetzt ist, und ob er je wieder heimkehren wird? In der Slowakei kann ich in Onkel Jakobs Schneiderei arbeiten, bis ich selbst Arbeit gefunden habe, und wenn ich Fuss gefasst habe, lasse ich die kleine Ester nachkommen.“
„Ich werde meinen Bruder benachrichtigen, dass du kommst“, sagte Mama, „und für deine Sicherheit und dein Wohlergehen beten.“
Rena, Herschel, Mama, Esther, Zosia, Danka
Jede Woche schrieb Zosia aus dem Haus des Schützers in der Slowakei und gab ihre Briefe nichtjüdischen Freunden aus Tylicz mit, die noch immer die Grenze passieren und auf dem Marktplatz in Bardejov ihre Ware verkaufen konnten. Herschels Operation sei gut verlaufen, hiess es in einem Brief. Die Gebete der Familie waren erhört worden.
Ein paar Wochen später schrieb sie, ihr wäre in Bratislava, Pressburg, ein Posten als Haushälterin angeboten worden. Bratislava befand sich am anderen Ende der Slowakei, an der Grenze zu Österreich. Zosia zog hin, und ihre Briefe kamen weniger häufig.
In der Zwischenzeit arbeiteten Danka und Rena lange, harte Tage und blieben oft bis halb fünf Uhr morgens auf, weil sie auch noch Zosias Näharbeit übernommen hatten. Rena wurde als die Weissnäherin am Ort bekannt, und als sie am Sonntag in ihre Arbeit vertieft an der Nähmaschine sass, hörte sie ein Klopfen am Fenster.
Entsetzt sah sie draussen einen deutschen Offizier warten. Er bat sie, für ihn zwei Kopfkissenbezüge zu nähen. Es war eine Frage, kein Befehl, was an und für sich schon eine Besonderheit war. Rena sagte ihm, sie könne die Kissenbezüge machen, und eine Woche später kam Offizier Joksch vorbei, um sie abzuholen. Dabei lobte er ihre Kunstfertigkeit, bestellte zwei neue und händigte ihr ein paar Münzen für ihre Arbeit aus.
Rena rannte durch das Haus, um ihrer Mutter die Münzen zu zeigen. „Ein österreichischer Offizier hat mich für die Kissenbezüge bezahlt!“, rief
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