Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
1. KAPITEL
R aleigh, North Carolina
Sie konnte sich einfach nicht auf ihren Körper konzentrieren. Egal, wie zart oder leidenschaftlich Ken sie berührte, ihre Gedanken waren meilenweit entfernt. Es war kurz nach fünf am Dienstagnachmittag, die Zeit, die sie sich grundsätzlich freihielten, damit nichts ihre Zweisamkeit stören konnte. Normalerweise genoss Corinne diese Momente mit ihrem Verlobten unendlich. Heute aber wollte sie lieber reden. Es gab so viel zu sagen.
Ken löste sich seufzend von ihr, und während sie ihn im späten Nachmittagslicht betrachtete, bemerkte sie sein Lächeln, als er seine Hand auf ihren Bauch legte. Hatte diese Geste, dieses Lächeln etwas zu bedeuten? Sie hoffte es, wagte aber nicht zu fragen. Noch nicht. Ken liebte dieses Nachglühen – wenn ihre Körper langsam wieder zu sich selbst fanden und sie in die Realität zurückkehrten –, deswegen musste sie Geduld haben. Sie strich durch sein dickes aschblondes Haar und wartete, bis sein Atem ruhiger wurde. Ihr Baby würde wunderschön werden, kein Zweifel.
“Mmm”, schnurrte Ken und schmiegte sich an ihre Schulter. Schmale Lichtstreifen fielen durch die Fensterläden und malten Muster auf die Bettdecke. “Ich liebe dich, Cor.”
“Ich liebe dich auch.” Sie schlang einen Arm um seinen Nacken und versuchte zu erspüren, ob er jetzt bereit war, ihr zuzuhören. “Ich habe heute etwas Unglaubliches getan”, begann sie. “Oder, um genau zu sein, zweimal etwas Unglaubliches.”
“Was denn?” Er klang noch etwas abwesend, aber dennoch interessiert.
“Erst einmal bin ich über die 540 zur Arbeit gefahren.”
Er hob erstaunt den Kopf. “
Wirklich?”
“Mhm.”
“Und wie war es?”
“Wunderbar.” Sie hatte zwar die ganze Zeit feuchte Hände gehabt, aber trotzdem hatte sie es geschafft. Seit ein paar Jahren unterrichtete sie die vierte Klasse in einer Schule, die acht Meilen von ihrem Haus entfernt war, und nicht ein einziges Mal hatte sie sich bisher getraut, über die Autobahn zu fahren. Lieber hatte sie sich an die winzigen Seitenstraßen gehalten, sich durch Wohnviertel geschlängelt und war den Wagen ausgewichen, die aus den Einfahrten rollten. “Ich brauchte nur etwa zehn Minuten zur Schule. Sonst dauert es vierzig.”
“Ich bin stolz auf dich”, lobte er sie. “Ich weiß, wie schwer es dir gefallen sein muss.”
“Und dann habe ich noch etwas Unglaubliches getan.”
“Hab ich nicht vergessen. Du sprachst von zwei Dingen. Was also noch?”
“Ich bin mit meiner Klasse ins Museum gegangen, statt in der Schule zu bleiben, wie ich es eigentlich vorhatte.”
“Jetzt bekomme ich es langsam mit der Angst zu tun”, neckte er sie. “Nimmst du irgendwelche Drogen?”
“Also, bin ich toll, oder nicht?”
“Du bist auf jeden Fall die tollste Frau, die ich kenne.” Er beugte sich zu ihr, um sie zu küssen. “Du bist mein mutiges, schönes, rothaariges Mädchen.”
Sie war in das Museum gegangen, als würde sie das jeden Tag in der Woche tun, in der Gewissheit, dass sicher niemand ahnte, wie heftig ihr Herz schlug und ihr Hals sich zusammenzog. Sie verbarg ihre Ängste sehr sorgfältig. Die Eltern ihrer Schüler – oder noch schlimmer, ihre Kollegen – durften auf keinen Fall etwas davon erfahren.
“Vielleicht willst du zu viel zu schnell”, gab Ken vorsichtig zu bedenken.
Sie schüttelte den Kopf. “Ich habe gerade eine gute Phase. Morgen möchte ich beim Arzt in den Fahrstuhl steigen. Nur mal schnell hineingehen”, fügte sie hastig hinzu. “Ich werde wie immer die Treppe nehmen. Aber zumindest mal einzusteigen ist schon ein erster Schritt, sozusagen. Vielleicht kann ich dann nächste Woche schon ein Stockwerk nach oben fahren.” Sie erschauerte bei der Vorstellung, wie die Fahrstuhltüren sich hinter ihr schließen würden, sie in eine Kabine sperrten, die nicht viel größer als ein Sarg war.
“Dann wirst du mich wohl bald nicht mehr brauchen.”
“Ich werde dich immer brauchen.” Sie fragte sich, wie ernst er das Gesagte meinte. Die Art und Weise, in der sie auf Ken angewiesen war, war für eine Liebesbeziehung sicher nicht ganz üblich. Er musste fahren, sobald sie sich etwas weiter als ein paar Meilen von ihrem Haus entfernten. Hatte sie im Supermarkt eine Panikattacke, rettete er sie. Er fasste sie am Arm und dirigierte sie durch das Einkaufszentrum oder die Musikhalle oder wo auch immer gerade ihr Herz zu rasen begann. “Ich würde dich nur lieber anders brauchen. Und ich muss es
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