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Rendezvous im Hyde Park

Rendezvous im Hyde Park

Titel: Rendezvous im Hyde Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Quinn
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vorsichtig. „Hat er dir etwas getan?" Er fürchtete sich vor der Antwort, aber er musste die Frage einfach stellen. Er musste wissen, was geschehen war, wenn er ihr helfen wollte.
    „Er war ... er ist reingekommen und ..." Aber sie konnte die Worte kaum aussprechen, und als er sie in die Arme nahm, brach sie sofort zusammen, und alle Kraft verließ sie.
    „Psst...", flüsterte er tröstend und wiegte sie liebevoll in den Armen. „Ist schon gut, ich bin hier. Ich bin ja hier."
    Sie nickte an seiner Brust, doch sie weinte nicht. Sie zitterte, sie rang nach Luft, doch sie weinte nicht. „Er hat nicht... er konnte nicht... ich bin ihm entkommen, bevor ..."
    Gott sei Dank, betete Sebastian im Stillen. Wenn sein Onkel ihr Gewalt angetan hätte ... er hätte ihn von den Toten zurückgeholt, nur um ihn noch einmal umbringen zu können. Im Krieg hatte Sebastian Vergewaltigung miterlebt, zwar nicht direkt, aber er hatte die Augen der Frauen gesehen, denen man das angetan hatte. Sie hatten innerlich wie tot gewirkt, und Sebastian hatte erkannt, dass sie auf gewisse Weise auch getötet worden waren, genau wie die Männer, die in die Schlacht gezogen und nicht zurückgekehrt waren. Für die Frauen war es schlimmer. Äußerlich lebten sie weiter, doch ihre Seele war gestorben.
    „Was sollen wir jetzt nur tun?", fragte sie.
    „Ich weiß nicht", räumte er ein. „Mir fällt schon etwas ein." Aber was? Er konnte mit fast jeder Situation umgehen, aber das hier ... die Leiche seines Onkels im Zimmer seiner Verlobten ...

    Guter Gott. Das überstieg sogar seine Fähigkeiten.
    Denk nach. Er musste nachdenken. Wenn dies ein Roman wäre und er ihn schriebe ...
    „Zuerst machen wir die Tür zu", erklärte er und versuchte dabei, so zu klingen, als wüsste er, was er tat. Sanft ließ er Annabel los, vergewisserte sich, dass sie allein stehen konnte, und ging rasch zur Tür. Er schloss sie nachdrücklich und ging dann durchs Zimmer, um eine Kerze zu entzünden.
    Annabel stand noch immer an derselben Stelle und schlang sich die Arme um den Leib. Sie sah aus, als wäre ihr eiskalt.
    „Brauchst du eine Decke?", fragte er. Unter diesen Umständen schien die Frage völlig grotesk. Aber sie fror, und er war ein Gentleman, und manche Dinge saßen einfach zu tief, als dass man sie hätte ignorieren können.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Sebastian legte die Hände auf die Hüften und starrte auf seinen Onkel hinunter, der reglos auf dem Teppich lag, das Gesicht nach unten. Bisher hatte er nicht groß Gedanken darauf verschwendet, wie das zwischen ihnen einmal enden würde, aber so hätte er sich das Ende bestimmt nicht vorgestellt. Verdammt. Was sollte er jetzt bloß tun? „Wenn das hier ein Roman wäre und ich ihn schriebe ...", brummte er, um damit seine kreativen Kräfte zu stimulieren, die er normalerweise auf seine Figuren verwendete. „Wenn ich ihn schriebe ..."
    „Was hast du gesagt?"
    Er drehte sich zu Annabel. Er war so gedankenverloren, dass er ihre Anwesenheit beinahe vergessen hatte. „Nichts", sagte er und schüttelte den Kopf. Vermutlich glaubte sie, er redete irr.
    „Mir geht es jetzt besser", erklärte sie.
    „Was?"
    Sie machte eine Handbewegung, die irgendwo zwischen einer Drehving und einem Winken lag. „Mein Kopf ist jetzt wieder klar. Was auch zu tun ist, ich kann es tun."
    Er blinzelte, überrascht, wie schnell sie sich erholt hatte.
    „Bist du sicher? Ich kann ..."

    „Ich weine hinterher, wenn alles vorbei ist", sagte sie scharf.
    „Ich liebe dich", sagte er und dachte bei sich, dass es wohl kaum unpassendere Momente für eine Liebeserklärung gab.
    Aber sie war so unglaublich, wie sie da in ihrem schlichten Baumwollnachthemd dastand, nüchtern und fähig wie eine Göttin. Wie hätte er sie nicht lieben können?
    „Habe ich dir das schon gesagt?", fügte er hinzu.
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte zittrig. „Ich liebe dich auch."
    „Gut", sagte er nur, denn dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Herzen und Blumen. Allerdings konnte er sich nicht verkneifen hinzuzufügen: „Es wäre für mich auch verdammt impraktisch, wenn du es nicht tätest."
    „Ich glaube, wir müssen ihn auf sein eigenes Zimmer schaffen", meinte sie und sah mit mulmiger Miene auf Newbury hinunter.
    Sebastian nickte und schätzte grimmig das Gewicht seines Onkels. Es würde nicht einfach sein, selbst wenn sie beide mit anfassten. „Weißt du, wo sein Zimmer ist?", fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Du?"
    „Nein."

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