Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
fasste Helga leicht am Arm. „Kommen Sie, lassen Sie uns erst einmal ein nettes Restaurant suchen. Ich glaube, jetzt haben wir uns ein gutes Essen verdient.”
3
Helga war gespannt, welches Lokal Kersting wählen würde. Während er den Wagen geschickt durch den dichten Stadtverkehr lenkte, betrachtete sie ihn verstohlen von der Seite. Ihr gefiel sein schmales Gesicht mit den strengen Zügen und das dichte dunkle Haar. Nur die harten Linien um den Mund störten den harmonischen Gesamteindruck. Hingen sie mit seinem Beruf zusammen, oder verdankte er sie einem bestimmten Erlebnis, überlegte sie und bemerkte, dass sie ihn gern näher kennen lernen würde. Trotz des Drucks, der zweifellos auf ihm lastete, strahlte er Ruhe aus. Sie spürte, wie auch sie sich allmählich entspannte. Der Vormittag war anstrengend genug gewesen und dann auch noch die Nachricht von Bennis Tod. Ein bisschen Ablenkung tat jetzt gut.
„Wie bitte?” Verflixt, sie hatte tatsächlich geträumt.
„Ich fragte, ob Sie chinesisch mögen? Das Lokal im Parkhaus ist recht gut.”
„In welchem Parkhaus?”
„Sie wohnen wohl noch nicht lange hier?” Kersting warf ihr einen amüsierten Seitenblick zu. „Es heißt Parkhaus, weil es im Park steht, genauer im Stadtgarten. Als es gebaut wurde, gab es das, was man heute unter Parkhaus versteht, noch nicht. Ich glaube, ursprünglich war es eine Art Tanzlokal.”
„Ach so.” Helga lachte. „Mit exotischem Essen kann man mich fast immer ködern.”
„Gut zu wissen! Also dann …”
Obwohl Helga im Allgemeinen ausländische Restaurants bevorzugte, kannte sie dieses noch nicht und schaute sich neugierig um. Die großen Palastlaternen mit den bunt bemalten Milchglasscheiben trugen ebenso zur chinesischen Atmosphäre bei wie die Drachen aus rotem Papier, die von der Decke hingen und der künstliche Flusslauf mit Goldfischen, zwei geschnitzten Holzbrücken und kleinem Wasserfall.
Da beide keine Lust hatten, sich selbst am Büffet zu bedienen, bestellten sie beim Kellner. Als der gegangen war, saßen sie einander gegenüber und musterten sich neugierig. Kersting wurde bewusst, dass er Helga zum ersten Mal entspannt sah. Die kurzen, braunen Fransen gaben ihrem Gesicht etwas Mädchenhaftes, dazu passten die großen, neugierigen Augen und ihre geröteten Wangen. Zurückgelehnt, die Hände im Schoß verschränkt, sah sie ihn offen an.
„Warum wollten Sie eigentlich mit mir essen gehen? Ich dachte immer, Polizisten dürften sich nicht mit Leuten einlassen, die mit einem Fall zu tun haben? Schließlich bin ich doch eine Zeugin, vielleicht sogar eine Verdächtige? Immerhin kannte ich beide Kinder.” Ihre ersten Worte kamen etwas hastig, als habe sie Angst vor einer Stille, die peinlich werden könnte.
Kerstings Grinsen ließ die harten Linien in seinem Gesicht verschwinden, als hätte es sie nie gegeben. „Stammen Ihre Kenntnisse über Polizeiarbeit aus Romanen oder aus dem Fernsehen?”
„Beides”, gestand sie freimütig.
„Nun, im Prinzip stimmt das natürlich schon, aber zum einen sind Sie keine wirklich wichtige Zeugin und – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – keine Verdächtige, zum anderen hatte ich einfach Lust auf ein angenehmes Mittagessen.”
„Aha, gibt es sonst Fast Food im Büro?”
„Nun ja”, er zuckte mit den Schultern, „meistens habe ich weder Ruhe noch Zeit, ein gutes Essen zu genießen. Dann müssen ein paar Brötchen eben reichen.”
„Heißt das, dass zu Hause niemand für Sie kocht, oder bin ich jetzt zu neugierig?”
„Sie sind zu neugierig.” Als sie zusammenzuckte, erkannte er, wie harsch seine Stimme geklungen haben musste. Mit einem verspäteten Lächeln versuchte er, seiner Antwort die Schärfe zu nehmen. Welcher Teufel hatte ihn geritten, sich während laufender Ermittlungen mit einer Zeugin, schlimmer, mit einer möglichen Täterin, zu treffen? Und das zu einem Zeitpunkt, als er noch gar nicht wieder in der Lage war, locker mit Frauen umzugehen. Er verhielt sich der Lehrerin gegenüber unfair und konnte nur versuchen, aus der verfahrenen Situation das Beste zu machen.
„Was glauben Sie, wie viele Frauen es mit einem Polizisten und seiner unregelmäßigen Arbeitszeit aushalten?”
Eine leise Melancholie umgab ihn jetzt, die Helgas Alarmglocken zum Klingen brachten. Die Unterarme auf dem Tisch verschränkt, betrachtete sie ihn mit nachdenklich gerunzelter Stirn. Sie wollte nicht den gleichen Fehler begehen wie damals mit Hans-Werner. Auch er strahlte,
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