Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Schluck von dem trockenen Weißwein, den Kersting ausgewählt hatte. Davon verstand er auch etwas. „Aber Sie wissen hoffentlich, dass ich Ihre Probleme durchaus erkenne.”
„Natürlich weiß ich das, sonst hätte ich Sie doch nicht eingeladen.” Seine Stimmung war umgeschlagen, er sprach sanft, fast zärtlich. „Es macht einfach Spaß, Sie ein bisschen aufzuziehen. Das Rot steht Ihnen. Außerdem sollten Sie Ihrem Temperament öfter freien Lauf lassen, das passt viel besser zu Ihnen.”
„Besser als was?”
„Na ja, in der Schule machen Sie meistens so einen beherrschten, strengen Eindruck.”
Wer übertrat jetzt Grenzen? Helga wusste nicht, ob sie sich ärgern oder lachen sollte. Schließlich entschied sie sich für letzteres. „Ich hoffe nur, das bedeutet nicht, dass Sie mich nun häufiger zum Erröten bringen wollen. Ich finde das nämlich nicht so schön.”
„Das ist zwar schade, aber wenn es Ihnen nicht gefällt, werde ich meinen Drang dazu im Zaum halten.” Seine grauen Augen ließen sie nicht los. „Erzählen Sie ein bisschen von sich. Gefällt Ihnen die Arbeit?”
Eigentlich sprach sie nur ungern über ihren Beruf, obwohl sie ihn liebte. Sie war es leid, gegen Vorurteile und Klischeevorstellungen zu kämpfen. Aber nachdem Kersting von sich berichtet hatte, wollte sie nicht kneifen. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass er sie verstehen würde.
„Doch, im Allgemeinen schon. Natürlich ist es oft schwierig, vor allem, wenn man hilflos zusehen muss, wie Eltern ihre Kinder kaputt machen. Sei es, dass sie sie unter Druck setzen, weil sie zuviel von ihnen erwarten, sei es, dass sie ihre Kinder durch fanatische Religiosität nicht am sozialen Leben teilnehmen lassen – ich kenne ein Kind im 4. Schuljahr, das noch nie in seinem Leben auf einer Geburtstagsfeier war – viele Eltern wissen einfach nicht, dass Kinder Erziehung brauchen. Frauen werden keine Mütter, bloß weil sie ein Kind geboren haben! In all diesen Fällen kann ich nur reden, aber nichts tun. Und das ist ganz schön frustrierend.” Sie spürte den Blick des Polizisten auf sich ruhen und beeilte sich, ihre Aussage positiv zu beenden. „Es gibt auch viele nette Erlebnisse, die dann für alles andere entschädigen.” Dabei fiel ihr Veronika ein, die heute Morgen kichernd auf sie zugestürzt war. „Frau Renner, Frau Renner, was ist das? Liegen zwei aufeinander und machen einen Dritten?” Vor Aufregung hopste die Kleine von einem Bein auf das andere. „Es is nicht das, was du denkst, nee, das is was ganz anderes.” Spitzbübisch grinste sie die Lehrerin an. „Das ist ’n Waffeleisen.” Fort war sie. Helga liebte diese Kinder, aufgeklärt, aber nicht ohne Schamgefühl, dazu fröhlich und spontan.
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als zwei Kellner die Speisen auftischten, kross gebratene Ente mit süß-saurer Sauce, verschiedene Gemüse und heißen, klebrigen Reis. Kersting bevorzugte Löffel und Gabel, während Helga zu den Stäbchen griff.
„Nun, schmeckt es Ihnen?”
„Sie haben nicht zuviel versprochen, das Essen ist hervorragend.”
„Freut mich. Ich liebe chinesische Küche.”
„Besuchen Sie China doch mal”, schlug Helga vor und berichtete humorvoll von ihrer ersten Reise dorthin, als Touristen noch ungewohnt waren, und jeder, der nicht mit Stäbchen essen konnte, entweder die Hände nehmen oder verhungern musste. Es tat gut, gemeinsam zu lachen.
„Wie wäre es mit gebratenen Bananen zum Nachtisch?”
„Danke nein, dann platze ich. Aber eine Tasse Kaffee wäre nicht schlecht.”
Als sie dann gemütlich beim Kaffee saßen, kam er auf das unterbrochene Thema zurück. „Es muss doch anstrengend sein, vormittags die Kinder in der Schule und nachmittags die eigenen zu versorgen?”
„Ist das die hinterhältige Art, in der Polizisten ihre Verdächtigen verhören?”
„Nein, das ist meine Art, subtile Fragen zu stellen.” Er schmunzelte, doch sie spürte seinen unbeugsamen Willen. So ähnlich musste sich ein Delinquent beim Verhör fühlen. Kurz streifte sie der Gedanke, nun ihrerseits eine Grenze zu ziehen. Doch warum? Er gefiel ihr, und sie dachte an ihren Beschluss von heute Morgen.
„Nun?”
Wider Willen musste Helga plötzlich lachen. „Also gut, ich habe keine eigenen Kinder, und damit Ihnen weitere subtile Fragen erspart bleiben, auch keinen Ehemann oder Freund.”
„Das freut mich, sehr sogar.” Seine Antwort kam ganz ernst. Gab es heutzutage tatsächlich noch jemand, der so altmodisch war
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