Reptilia
DNS-Sequenzierungslabors, die mit Rasterelektronenmikroskopen, Massenspektrometern, Autoklaven, Inkubatoren und anderen wissenschaftlichen Apparaturen voll gestopft waren. Unfassbar. Hier befanden sich Anlagen im Wert von Hunderten von Millionen Dollar. Lady Palmbridge lächelte, als sie bemerkte, wie mir der Unterkiefer herunterklappte.
»Wie Sie wissen, hat mein Mann sich seit den Sechzigerjahren ausgiebig mit Genforschung befasst«, erläuterte sie. »Er war inspiriert von den sensationellen Forschungsergebnissen, die Rosalind Franklin und Maurice Wilkins am Kings College in London zwischen 1950 und 1960 über den Aufbau und die Struktur des DNS-Moleküls gewonnen hatten. Es war die Geburtsstunde des Begriffs Doppelhelix , des doppelt verschraubten Molekülstrangs, dessen Form uns heute so geläufig ist. Ich studierte damals Chemie, als ich meinen Mann kennen lernte. Wir durften hautnah miterleben, wie Wilkins zusammen mit den Wissenschaftlern Crick und Watson 1962 den Nobelpreis für Medizin in Empfang nahm. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Neuerung, wie es sie seit Einsteins Relativitätstheorie nicht mehr gegeben hatte. Sie können sich nicht vorstellen, was für einen Ruck es gab, beginnend bei den Naturwissenschaften bis hin zur Philosophie, als bekannt wurde, dass alles Leben auf unserer Erde durch vier Basen definiert wird. Wirklich erschütternd aber war die Erkenntnis, dass das, was wir als Seele bezeichnen, sich irgendwo zwischen einfachen chemischen Molekülen verbirgt. Das hatte man sich, bis zu diesem Zeitpunkt, nicht klar gemacht.«
»Vorausgesetzt, es gibt wirklich so etwas wie eine Seele«, warf ich ein. »Der Beweis dafür steht noch aus.«
»Zweifeln Sie daran?«, fragte mich Maloney mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich glaube nur das, was ich sehe. Alles Leben auf dieser Erde besteht aus Zellen, die durch chemische Prozesse miteinander in Verbindung stehen. Man kann sie sehen und ihre Funktionen entschlüsseln. Aber so etwas wie eine Seele habe ich noch nicht gefunden.«
»Vielleicht gibt es ja Dinge, die sich unserer Wahrnehmung entziehen«, entgegnete der Jäger. »Dinge, die nicht erforschbar sind.«
»Wenn ich das glauben würde, wäre ich wohl kaum Wissenschaftler geworden.«
»Meine Herren«, fuhr Lady Palmbridge dazwischen. »Diese Diskussion muss warten. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern weitermachen.« Sie warf mir einen scharfen Blick zu, und ich nickte betreten.
»Selbstverständlich. Entschuldigen Sie bitte.«
»Als bekannt wurde, wie Informationen verdoppelt und weitergegeben werden konnten«, fuhr sie fort, »geriet die ganze Sache erst richtig ins Rollen. Es gibt bis heute viele ungeklärte Fragen: Wie exprimieren sich Gene, das heißt, wie lassen sie körperliche Merkmale – Augenfarben, Körpergrößen und Hautfarben – entstehen? Wie muss ein Genom, also die Gesamtheit aller genetischen Informationen beschaffen sein, um beispielsweise ein Schaf hervorzubringen? Wie kann man dieses Genom verändern, um Erbkrankheiten auszuschließen, und so weiter. Plötzlich standen enorme Forschungsgelder zur Verfügung, denn auch die Industrie war auf einmal interessiert. Die Wissenschaft hatte ein neues Tor aufgestoßen, und die Welt, die sich dahinter befand, war unvorstellbar groß. Wir merkten damals, dass Großbritannien viel zu klein war, um solch fundamentalen Fragen nachzugehen, und übersiedelten mit unserer Tochter in die USA. Nach dem Tod meines Mannes übernahm ich die Laboratorien und führte sein Werk weiter.« Sie deutete auf den Projektionsschirm. »In dieser Anlage liegt der Schlüssel zum Geheimnis des Lebens und zur Zukunft der Menschheit. Wie Sie vielleicht wissen, sind wir Teil des Human Genome Project . In diesem Labor befindet sich das gesamte menschliche Genom. Analysiert, aufgeschlüsselt und bereit, optimiert zu werden.«
Das war der Punkt, an dem ich zum ersten Mal hellhörig wurde. Alles, was sie vorher erzählt hatte, war mir nicht neu. Doch beim Wort optimieren fuhr mir ein Schauer über den Rücken. So groß meine Differenzen zu meinem Vater auch waren, so sehr war ich doch von seiner Ansicht geprägt, dass nichts unheilvoller war als die Allmachtsfantasien ungezügelter Wissenschaft.
»Was genau meinen Sie damit«, fragte ich. Lady Palmbridge stoppte die Präsentation und kam lächelnd auf mich zu. Der Lichtstrahl erzeugte Schatten in ihrem Gesicht, die sie fremd aussehen ließen.
»Erschrocken, David?« Das Licht ließ ihre
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