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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Gegner zu hören, den er nicht mit seiner Elefantenbüchse erledigen konnte. Auch ich wurde unruhig, aber aus anderen Gründen.
    Obwohl ich Respekt vor ihrer nüchternen Argumentation hatte, ahnte ich, worauf Mrs. Palmbridge hinauswollte.
    »Der Trugschluss«, fuhr unsere Gastgeberin unbeirrt fort, »dem viele Wissenschaftler und große Teile der Bevölkerung erliegen, ist die Annahme, die Viren würden sich mit einem Mal, aus heiterem Himmel, zu immer gefährlicheren, immer bösartigeren Krankheitserregern entwickeln. Aber das ist Unsinn. Viren, in der einen oder anderen Form, hat es schon immer gegeben, manche harmlos, manche so bösartig wie das Hantavirus. Sie sind Teil unserer Umwelt und Teil der gesamten Evolution. Nicht sie haben sich verändert, sondern wir. Indem wir uns mithilfe der Medizin aus dem Kreislauf der natürlichen Evolution ausgeklinkt haben, sind wir angreifbar geworden. Wir treten, evolutionstechnisch betrachtet, auf der Stelle, und das wird unser Untergang sein, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Hinzu kommt, dass die Bevölkerungszahl rapide zunimmt und die Übertragung von Viren in Ballungsräumen exponentiell schnell verläuft, besonders bei Krankheiten mit kurzer Inkubationszeit. Sie sehen also, wir müssen uns in doppelter Hinsicht beeilen.«
    »Schön und gut«, sagte ich und sprang auf. Ich war selbst überrascht, wie heftig meine Reaktion ausfiel, aber es war mir nicht länger möglich, still sitzen zu bleiben. »Gesetzt den Fall, dass Sie Recht haben, so dürfen wir trotzdem nicht damit beginnen, ins Blaue hinein am menschlichen Genom herumzubasteln. Wir haben doch gerade erst damit begonnen, die einzelnen Sequenzen nach ihrer Funktion zu überprüfen. Es wäre viel zu früh, überhaupt daran zu denken, Veränderungen vorzunehmen.«
    »Sie sprechen wie jemand, der noch keinen privaten Verlust erlitten hat, David«, erwiderte Lady Palmbridge. »Sie haben noch nicht erlebt, wie es ist, wenn einem ein Mensch unter den Fingern wegstirbt und man nichts dagegen unternehmen kann.«
    Ich wollte protestieren, doch sie hob die Hand und sagte: »Bitte regen Sie sich nicht auf. Sie sind ein vorsichtiger und besonnener Mensch. Ich kann Ihre Bedenken voll und ganz verstehen, schließlich ist es noch gar nicht lange her, dass viele seriöse Wissenschaftler sich der grauenhaften Theorie der Eugenik verschrieben hatten. Es stimmt schon, wir dürfen auf keinen Fall versuchen, diese Veränderungen aufs Geratewohl durchzuführen. Nicht ohne einen geeigneten Bauplan, einen Blueprint , nach dem wir uns richten können. Aber wie es scheint, werden wir genau diesen bald in unseren Händen halten.«

5
    Ich war sprachlos. Bauplan? Blueprint? Meine Gedanken bewegten sich zeitgleich in verschiedene Richtungen, ohne jedoch zu irgendeinem Ergebnis zu gelangen. Maloney blickte verwirrt zwischen Mrs. Palmbridge und mir hin und her. Er schien auf eine Fortsetzung des Disputes zu warten, und als dieser nicht stattfand, ergriff er selbst das Wort. »Was für ein Bauplan? Wovon reden Sie. Mrs. Palmbridge? Ich verstehe kein Wort.«
    »Ich spreche von einer Art Blaupause. Einem genetischen Code, der uns einen Anhaltspunkt dafür geben könnte, wie ein intaktes Immunsystem bei einer hoch entwickelten Spezies aussehen könnte. Ein Immunsystem, das in der Lage ist, sich flexibel den Angriffen immer neuer Virenmutationen anzupassen«, erläuterte sie. »Dabei käme es gar nicht darauf an, dass das System auf dem neuesten Stand wäre, sprich, dass es heute lebende Virenstämme erfolgreich abwehren könnte. Diese Feinjustierung ließe sich durch Immunisierung sehr leicht am lebenden Objekt bewerkstelligen. Nein, ich rede von einer fundamentalen Neuausrichtung unseres gesamten biochemischen Schutzapparates.«
    Ich fasste mir ein Herz und fragte nicht ohne Ironie: »Woher wollen Sie den Bauplan denn nehmen? Vom Schimpansen?«
    Lady Palmbridge schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Obwohl das Immunsystem der Schimpansen unserem sehr ähnlich ist. Zu ähnlich möchte ich sagen, denn wir haben bei ihnen die gleichen Anfälligkeiten und Schwächen festgestellt. Das gilt übrigens für fast alle Säugetiere. Nein, es müsste sich um eine Spezies handeln, die unserer ähnlich, aber nicht zu ähnlich ist. Eine Spezies, die über ein ausgeprägtes Gruppenverhalten verfügt, hochintelligent ist und die Fähigkeit zu differenzierter Kommunikation mitbringt.«
    »Delphine?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf. »Meereslebewesen sind

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