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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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hinab.
    Dorthin, wo nur noch Dunkelheit regierte.

24
    Irgendwann spürte ich festen Boden unter den Füßen. Ich hatte den Grund des Sees erreicht.
    Schwärze umgab mich. Absolute, undurchdringliche Schwärze. Die Last des über mir liegenden Wassers drohte mich zu zerquetschen, und in meinen Ohren erklang ein durchdringendes Pfeifen. Plötzlich erinnerte ich mich an das Buch, das Sarah mir mitgegeben hatte, Herz der Finsternis . Genau dort befand ich mich jetzt, auch wenn es eine andere Finsternis war, als die von Joseph Conrad beschriebene. In was für eine Situation war ich nur geraten? Auf dem Grund eines Sees, im Zentrum des schwarzen Kontinents. Verloren und allein.
    Nein, allein war ich nicht. Irgendwo über mir befand sich ein Jäger aus grauer Vorzeit, der mich mit Sicherheit irgendwann aufspüren würde. Er konnte nämlich etwas, was mir verwehrt war. Er konnte mithilfe von Schallwellen im Dunkeln sehen. Im Dunkeln sehen. Mir fiel ein, dass ich dazu auch in der Lage war, zumindest eingeschränkt. Ich schaltete die Helmlampe an. Ein Lichtkegel wies in die Schwärze. Das Wasser war trüb, verunreinigt durch Millionen kleiner Schwebeteilchen, die ich aufgewirbelt hatte. Abgestorbene Pflanzenfasern, Schlamm und mikroskopische Kleinstlebewesen hüllten mich ein. Blasse, leblos wirkende Krebse bevölkerten den Grund. Meine Füße versanken in einem Teppich aus Schlick, der in kleinen Wolken emporwirbelte, sobald ich nur einen Schritt machte. Unwillkürlich glitt mein Blick auf die Anzeige des Geigerzählers, und mir stockte der Atem. Hier unten lag das Strahlungsniveau weitaus höher als oben. Es war zwar noch nicht lebensgefährlich, doch ein längerer Aufenthalt in dieser Tiefe war nicht ratsam.
    Also doch. Ich hatte es geahnt. Ein absurder Gedanke ging mir durch den Kopf. Sollte ich je Gelegenheit haben, einen Bericht über mein Abenteuer zu schreiben, würde ich auf den Zusammenhang zwischen der Strahlung und dem Meteoriteneinschlag hinweisen können. Das würde sicher das Interesse der Fachleute wecken.
    Doch erst einmal musste es mir gelingen, wohlbehalten zur Oberfläche zurückzukehren. Der Jäger schwamm noch irgendwo über meinem Kopf herum. Ich musste also versuchen, an einer anderen Stelle zur Wasseroberfläche zu kommen. Mit kräftigen Flossenschlägen glitt ich über den Grund, ohne eine Vorstellung davon zu haben, in welche Richtung ich mich bewegte. Nach vielleicht hundert Metern begann sich der Untergrund zu verändern. Der Schlamm war von gezackten Gesteinstrümmern durchsetzt, die immer größer wurden, je weiter ich vordrang.
    Plötzlich und völlig unerwartet öffnete sich vor mir ein gewaltiger Felsabbruch. Ein Abgrund, der in unerforschte Tiefen führte. Der Durchmesser der Spalte war nicht abzuschätzen. Das Licht meines Scheinwerfers reichte nicht aus, um sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Der Grund wirkte, als wäre er von einer brutalen Kraft aufgerissen worden – wie die Narbe einer nie ausgeheilten Verletzung. Ihrer Form nach konnte sie durchaus von einem Meteoriten stammen. Mein Geigerzähler schlug bis zum Anschlag aus.
    Ein Grauen, wie ich es noch nie zuvor verspürt hatte, erfasste mich. Ich hatte ihn gefunden. Den Eingang zu Mokéles unterirdischem Reich.
    Plötzlich überkam mich ein eigenartiges Gefühl. Es war, als hörte ich Stimmen in meinem Kopf, Stimmen, die in keiner mir bekannten Sprache redeten, und die mehr Bilder waren als Laute. Sie flüsterten und raunten, pfiffen und zwitscherten in allen nur erdenklichen Tonlagen. Es war beinahe wie Musik.
    In diesem Moment vernahm ich ein Knacken in meinen Lautsprechern, und augenblicklich erloschen die Klänge.
    » Hierher, Six’. Da drüben ist er.«
    Ich drehte mich um und sah den zuckenden Schein zweier Lampen in der Ferne, die sich langsam näherten.
    »Maloney, Sixpence, hier herüber«, rief ich euphorisch. Ich war so erleichtert, nicht mehr allein zu sein, dass ich ihnen ein Stück entgegenschwamm.
    »Sie kommen gerade rechtzeitig. Sehen Sie, was ich gefunden habe.«
    »Wir haben fast den gesamten See nach Ihnen abgesucht, Astbury«, schnaufte Maloney. »Wir hatten schon beinahe die Hoffnung aufgegeben, Sie jemals wiederzufinden. Was haben Sie sich nur dabei gedacht …?«
    Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment sah er, was ich entdeckt hatte.
    »Heilige Mutter Gottes, was ist denn das?«, hörte ich ihn murmeln. »Six’, sieh dir das hier an!«
    Einige Sekunden lang herrschte Schweigen. Die beiden Taucher

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