Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Wir wussten nicht so genau, wie lange der Aufprall dauern würde und ob danach noch irgendwas Interessantes zu sehen sein würde.
An diesem Abend schienen alle aus unserer Straße draußen zu sein. Manche saßen auf der Terrasse, um noch zu grillen, aber die meisten saßen vorm Haus, genau wie wir. Nur Mr Hopkins war nirgends zu sehen, aber an dem Flimmern hinter seinem Wohnzimmerfenster erkannte ich, dass er vorm Fernseher saß.
Es war wie ein großes Straßenfest. Die Häuser stehen hier ziemlich weit auseinander, so dass man nicht viel hören konnte, nur ein fröhliches Stimmengewirr.
Als es dann auf halb zehn zuging, wurde es ziemlich still. Man konnte fast spüren, wie alle ihre Hälse reckten und in den Himmel starrten. Jonny stand am Teleskop, und er war dann auch der Erste, der rief, dass der Asteroid käme. Er könne ihn schon am Nachthimmel erkennen, und dann konnten wir ihn alle sehen, die größte Sternschnuppe, die man sich vorstellen kann. Um einiges kleiner als der Mond, aber größer als alles andere, was ich sonst bisher am Himmel gesehen habe. Es sah aus, als sprühte sie Feuer, und als sie in Sicht kam, brachen alle in Jubel aus.
Einen Moment lang fielen mir all die Menschen ein, die in den vergangenen Jahrtausenden den Halleyschen Kometen beobachtet hatten, ohne zu wissen, was das war – eine rätselhafte Erscheinung, die sie mit Angst und Ehrfurcht erfüllte. Für den Bruchteil einer Sekunde hätte ich auch ein sechzehnjähriges Mädchen aus dem Mittelalter sein können, das zum Himmel emporschaut und dessen Wunder bestaunt, oder eine Aztekin oder eine Indianerin. Einen winzigen Moment lang war ich wie jede andere Sechzehnjährige in der Geschichte der Welt, die nicht weiß, welche Zukunft der Himmel ihr verheißt.
Und dann kam der Aufprall. Obwohl wir alle wussten, dass es passieren würde, war es trotzdem ein Schock, als der Asteroid dann tatsächlich auf dem Mond einschlug. Auf unserem Mond. Ich glaube, erst in diesem Moment wurde allen klar, dass es unser Mond war und dass jeder Angriff gegen ihn auch gegen uns gerichtet war.
Ich weiß noch, dass die meisten Leute auf unserer Straße wieder anfingen zu jubeln, aber dann brach der Jubel plötzlich ab und ein paar Häuser weiter fing eine Frau an zu schreien, und dann schrie ein Mann »Oh mein Gott!« und andere riefen »Was denn? Was ist passiert?«, als wüsste einer von uns die Antwort.
Ich weiß, dass all die Astronomen, die wir noch vor einer Stunde auf CNN gesehen hatten, uns erklären könnten, was passiert ist und wie und warum, und das werden sie bestimmt auch noch tun, heute Abend und morgen früh und vermutlich noch so lange, bis die nächste Sensationsmeldung kommt. Ich weiß aber auch, dass ich es nicht erklären kann, weil ich nicht die geringste Ahnung habe, was passiert ist, und schon gar nicht, warum.
Jedenfalls war der Mond kein Halbmond mehr. Er war plötzlich ganz schief und irgendwie falsch und drei viertel voll, und er war größer geworden, viel größer, so groß, als würde er gerade am Horizont aufgehen, bloß ging er gerade gar nicht auf. Er stand eindeutig mitten am Himmel, viel zu groß, viel zu dicht dran. Auch ohne Fernglas waren jetzt Einzelheiten der Krater zu erkennen, die ich vorher nur durchs Teleskop gesehen hatte.
Es war nicht so, dass ein großes Stück abgebrochen und ins All geflogen wäre. Es war auch kein Einschlag zu hören gewesen, und der Asteroid hatte den Mond auch nicht genau in der Mitte getroffen. Es war eher so wie beim Murmelspielen, wenn eine Murmel die andere von der Seite trifft und diese dann schräg wegrollt.
Eswar immer noch unser Mond, einfach ein großer toter Felsbrocken am Himmel, aber er sah nicht mehr so harmlos aus. Er sah ganz plötzlich zum Fürchten aus und man konnte spüren, wie um uns herum die Panik wuchs. Einige Leuterannten zu ihrem Auto und rasten einfach los. Andere weinten oder beteten. Eine Familie stimmte die Nationalhymne an.
»Ich rufe mal kurz bei Matt an«, sagte Mom, als wäre das die normalste Sache der Welt. »Kommt rein, Kinder. Mal sehen, was CNN dazu zu sagen hat.«
»Geht jetzt die Welt unter, Mom?«, fragte Jonny. Er nahm den Teller mit den Keksen vom Boden auf und stopfte sich einen davon in den Mund.
»Nein, tut sie nicht«, antwortete Mom, klappte ihren Gartenstuhl zusammen und ging damit zum Haus. »Und ja, du musst morgen zur Schule gehen.«
Wir mussten lachen. Dasselbe hatte ich mich auch gerade gefragt. Jonny stellte die Kekse weg,
Weitere Kostenlose Bücher