Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
Vom Netzwerk:
.
    «O nein, Judith hat’s auch erwischt. Ich muss hin.»
    «Machen Sie es kurz! Dann gehen Sie nach Hause und packen sich warm ein. Wir sehen uns morgen – hoffe ich.»
    Seine Worte entsprachen denen auf dem Zettel. Kate erschauerte unwillkürlich. Regen prasselte gegen die Fenster und peitschte abgebrochene Zweige mit empfindlichen jungen Blättern gegen das Glas, wo sie kleben blieben, bis der nächste Windstoß sie fortwehte. Kein Klavierspiel am Abend!
    Die Chorsänger gingen noch vor fünf nach Hause, danach war die Schule, abgesehen von Miss Johnstone und dem Hausmeister, menschenleer. Kate sammelte pflichtbewusst die Noten ein und vergewisserte sich, dass alle Fenster geschlossen waren. Oben waren alle verriegelt, und so schaltete Kate das Licht aus. Aus dem Halbdunkel schaute sie auf die vom Sturmwind gepeinigten Sträucher hinab. Erstaunlich, dachte sie, wie Schatten plötzlich reale Umrisse annehmen, wenn man sie direkt ansieht. Da draußen in den Büschen, hinter dem Rhododendron, dessen letzte welke Blüten der Wind fortriss, das hätte die Silhouette von Kopf und Schultern sein können. Je genauer sie hinsah, desto überzeugter wurde sie, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelte, einen Mann, der auf sie wartete. Sie war keine ängstliche Natur, aber der Gedanke wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf und wurde langsam zur unumstößlichen Gewissheit.
    Sie blieb reglos stehen und starrte hinüber, mit Augen, die trocken wurden, weil sie versuchte, nicht zu blinzeln. Der Schatten bewegte sich nicht. Erbost blinzelte sie und schüttelte den Kopf. Als sie wieder hinsah, war der Schatten verschwunden.
    «Dummes Weib», schalt sie sich, «geh nach Hause und leg dich ins Bett!» Tapfer stieg sie die steile Holztreppe hinunter; laut klapperten ihre Absätze auf den Dielen. Unten sah sie in den Umkleideraum und vergewisserte sich, dass die Tür zum angrenzenden Raum abgeschlossen war. Der Schlüssel hing wohlbehalten an seinem Nagel. Sie trat ins Klavierzimmer und registrierte einen kalten Luftzug. Ohne Licht zu machen, ging sie zu dem kleinen Fenster und stellte fest, dass es nur angelehnt war. Seltsam. Sie machte es fest zu und schob den Riegel vor. Schließlich kehrte sie zum Fuß der Treppe zurück; Kopf, Hals und Schultern schmerzten vor Kälte. Sie nieste zweimal so heftig, dass ihr ganzer Körper erschauerte. Unbeholfen zog sie ihre Wanderschuhe an und verstaute die Pumps in dem Beutel. Schließlich trat sie ins Freie, tastete nach ihrem Schirm und suchte nach dem Schlüssel für den Musiktrakt.
     
    Er wartete in dem Holunderbusch neben der Tür. Gekleidet hatte er sich ganz in Schwarz, und sogar die Haut um die Augen herum war geschwärzt, damit er mit den Schatten eins wurde. Einen Moment lang war er sicher gewesen, dass sie ihn gesehen hatte. Er war erstarrt, als ihr blasses Gesicht oben am Fester erschien. Erst nach einer ganzen Weile hatte sie sich abgewandt, und er hatte an der nächstbesten dunklen Stelle Schutz gesucht. Jetzt wartete er ruhig, aber wachsam, zum Handeln bereit.
    Er hatte sich für eine einfache Lösung entschieden: Er wollte sie auf der Schwelle töten, ins Haus schleppen und die Tür absperren. Das Wetter war günstig. Er war darauf eingerichtet gewesen, den Hausmeister k. o. schlagen zu müssen, damit er nicht gestört wurde, aber der alte Mann hatte es sich bereits mit Thermoskanne und Radio in seiner Unterkunft für den Abend gemütlich gemacht. Sonst war niemand mehr da.
    Er hörte ihre Schritte auf der Treppe und folgte ihr in Gedanken durch die unteren Räume. Er konnte es kaum erwarten. Seine Hände würden genügen. Für alle Fälle hatte er ein Messer bei sich, doch er bezweifelte, dass er es brauchen würde. Er würde ihr mit einem einzigen Schlag das Genick brechen; die Wirbelsäule würde durchtrennt, und sie würde sterben, ohne einen Laut von sich zu geben. Dann würde er tun, was erforderlich war, damit es wie ein Raubüberfall oder eine versuchte Vergewaltigung mit ungewollten Folgen aussah, möglicherweise von einem Süchtigen begangen. Beim Gedanken an diese Einzelheit zog er die Spritze aus der Tasche und ließ sie zu Boden fallen.
    Die Lichter gingen aus, und er hörte sie zweimal niesen. Er wappnete sich.
     
    Kate bückte sich zum Schloss hinunter. Das Geräusch hinter sich spürte sie mehr, als dass sie es hörte, und im selben Moment wurde sie von einem so heftigen Niesanfall geschüttelt, dass sie fast zusammenklappte. Eine Silhouette nahm

Weitere Kostenlose Bücher