Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
Vom Netzwerk:
baumeln.«
    »Das ist Sache des Gerichts.«
    »Die sind immer noch aus Männern gemacht. Und wenn’s nach den Leuten hier in der Stadt geht, dann hält einer dafür den Kopf in die Schlinge.«
    Auf der anderen Seite des Beckens konnte McCrink die Gasometer der Stadt sehen. Das war die Struktur der Stadt. Kohlestaub. Vom Regen aufgeweichter Getreideschrot auf den Bahngeleisen am Quai. Das dunkle, verwunschene Wasser des Kanals.
    Gegen Ladenschluss ging McCrink zurück in die Stadt. Er hatte sich den Arbeitsplatz des Mädchens bis zum Ende aufgehoben. Er lief am alten Markt vorbei. Budenbesitzer beluden ihre Lieferwagen. Es roch nach Fleischabfällen, und im Rinnstein lag verfaultes Gemüse. Der Markt wich Steinhäusern. Die Northern Bank und das Hauptpostamt. Messingschilder warben für Anwälte und Zahnärzte. Leute bauten darauf, tüchtig zu sein und für ein abgehalftertes Wertesystem einzustehen. An den Bushaltestellen standen Grüppchen von Arbeitern.
    Am Margaret Square blieb er stehen und blickte an der beleuchteten Fassade von Foster Newell’s hoch. Die letzten Kunden waren eben dabei, das Geschäft zu verlassen. Frauen mit Schleierhüten, düster und betucht wirkten sie, als sie zu ihren Autos hinübergingen. Er konnte sehen, wie die Angestellten begannen zuzusperren. Durch die vom Regen verschleierten Fenster sahen die Mädchen, die Uniformen trugen, elegant aus, ihre fließenden Bewegungen wirkten einstudiert. Gesenkten Hauptes bewegten sie sich leichtfüßig durch das zweckmäßige Mobiliar des Geschäftes, vorbei an den vergoldeten Spiegeln und leeren Verkaufstheken, und McCrink stellte sich den Schmerz vor, der in der Luft lag, weil sie wussten, eine der ihren, eine aus ihrer Gruppe, war gefallen.
    Auf der anderen Straßenseite stand eine Telefonzelle. McCrink rief Speers an und wartete, den Hörer in der Hand, auf die Verbindung.
    »McCrink. Gibt’s was Neues?«
    »Vorläufige Autopsie. Sieben Stichwunden. Keine davon tödlich. Der Tod ist durch die Verletzungen an der Luftröhre verursacht worden. Quetschungen.«
    McCrink ertappte sich dabei, wie er noch immer die Fassade von Foster Newell’s anstarrte. Den Geräuschen in der Leitung zuhörte. Die Information ging durch weit entfernte Fernmeldeämter, Kupfer- und Bakelitkontakte, tief unter der Erde liegende Verbindungen, tote Knöpfe.
    »Hat man an der Leiche Fingerabdrücke gefunden?«
    »Bis jetzt nicht. Sie lag die ganze Nacht draußen im Regen. Da bleiben nicht viele Spuren übrig.«
    »Sind Sie mit den Vernehmungen fertig?«
    »Im Moment gibt’s nichts mehr zu tun.«
    »Treffen wir uns in Nummy’s. Die Crown Bar.«
    Auf seinem Weg die Hill Street hinauf gelangte McCrink zur Gemeindebibliothek. Er stieß die Mahagonitür mit den Messingbeschlägen auf. Im Hauptsaal der Bücherei waren die Lichter ausgeschaltet worden, abgesehen von der Lampe über dem Tisch des Bibliothekars. Wie er erwartet hatte, eine schäbige, trübe und provinzielle Einrichtung. Er konnte jemanden hinter dem Tisch ausmachen. Er glaubte zu wissen, was für eine Angestellte ihn in einer Bücherei wie dieser erwartete. Eine altjüngferliche Frau mit mausgrauem Haar, in flachen Schuhen.
    »Es tut mir leid, wir haben geschlossen.«
    Er trat näher an den Tisch heran. Die Frau war Ende dreißig, schätzte McCrink. Ihr Haar reichte bis auf die Schultern, sie trug goldene Reifenohrringe und eine Bluse, die verwegen aussah. Sie hatte eine lange Nase und hielt ihren Kopf zur Seite geneigt, während sie mit ihm redete. Ihrem Gesicht war Ernüchterung abzulesen, ironische Selbstvergebung, die zu lange verdrängt worden war und wohl bald zu Resignation werden würde. Genau die Art von Frau, die ihn anzog.
    »Polizei«, sagte er.
    »Oh mein Gott«, sagte sie, »der Mord. Ich hab letzte Woche noch Make-up bei ihr gekauft. Sie war im Chor. Man würde nie denken … Tut mir leid. Ich mach gleich eine Geschichte daraus. Sie haben sich bestimmt Hunderte davon anhören müssen.«
    »So sind die Menschen. Wenn so was passiert, erzählen sie Geschichten.«
    Ihre Geschichten waren alles, was sie der Dunkelheit entgegensetzen konnten.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«
    Sie hatte die Angewohnheit, ihren Kopf zwischen die Schultern zu ziehen, als wollte sie damit ein Lächeln unterdrücken, und ihre Handflächen in einer Geste der Ergebenheit nach oben zu halten; dabei hatte sie die Augenbrauen in mokanter Selbstvergessenheit nach oben gezogen. In der Stadt kannte man keinen Mord.
    »Haben Sie

Weitere Kostenlose Bücher