Requiem
Absperrung lassen?«, fragte Anne absichtlich naiv.
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Und in mein Mikrofon wollen Sie mir wohl auch nichts sagen?«
»Auch das nicht. Wir haben ja noch nicht mal die Angehörigen des Opfers ausfindig gemacht.« Dabei fasste sich Barthelmess mit gespieltem Erschrecken, als habe er zu viel verraten, an den Mund und ging in die Ehrenhalle zurück.
Beaufort schaute dem Polizisten nach und sagte zu Anne: »Wenn das wirklich ein Mordfall ist, hat sich der Täter aber ein grausliches Ambiente ausgesucht.«
»Hoffentlich ist der Tote kein Ausländer. Ich kann mir die Schlagzeile in der Bild -Zeitung schon vorstellen: ›Waren es Neonazis???‹«
»Mal nicht gleich den Teufel an die Wand«, bemerkte Beaufort. »Wie kommst du jetzt an dein Interview?«
»Ich warte, bis der oberste Polizeisprecher auftaucht, und hole mir in der Zwischenzeit ein paar Statements von den Zaungästen hier. Und dann schieße ich noch ein paar Fotos.« Sie holte aus ihrer Reportertasche das Aufnahmegerät und ihren Autoschlüssel. »Bist du so gut, Frank, und holst meine Kamera aus dem Handschuhfach?«
»Wozu brauchst du Fotos?«, fragte er erstaunt. »Wenn ich dich erinnern darf: Du arbeitest beim Radio.«
»Für unsere Homepage natürlich. Der BR ist im Internet präsent, auch das Studio Franken. Und da kommt man ohne Bilder nicht aus. So ist das eben in unserer Multimediawelt.«
Beaufort trottete durch den Regen zurück zum Auto. Anne hatte die neuen Medien mit einer Coolness akzeptiert, die er ihr nicht abnahm. Ihm war diese Welt jedenfalls zu unübersichtlich geworden. Er war noch mit Kassettenrekorder und Schallplattenspieler aufgewachsen. Natürlich benutzte er das Internet und konnte sich auch CDs und DVDs brennen, aber MP3-Player und i-Phones hatten ihn nie interessiert. War er für einen 40-Jährigen zu konservativ? Ihn fror. Die feuchte Kälte kroch langsam durch den Mantel. Er nahm sich vor, im Auto kurz die Heizung anzumachen und sich aufzuwärmen. Doch dazu kam er nicht mehr, denn gerade als er die Beifahrertür öffnete und den Fotoapparat im Handschuhfach suchte, parkte neben ihm ein schwarzer BMW, dem ein drahtiger, nicht sehr großer Mann entstieg. Es war Beauforts bester Freund, der Justizsprecher Ekkehard Ertl.
»Was machst du denn hier?«, riefen die beiden Männer wie aus einem Mund. Und dann grinsten sie sich an und sagten, wieder völlig gleichzeitig: »Macht noch ein Jahr.« Lachend umarmten sie sich zur Begrüßung. In ihrer Schulzeit hatten die beiden gehört, dass, wenn zwei Freunde im selben Moment haargenau dasselbe sagten, sie mindestens ein Jahr länger befreundet blieben. Demnach war ihre Freundschaft so dick, dass sie noch mindestens 140 Jahre halten würde.
»Du bist wegen des Toten da, stimmt’s?«
Ekki schaute ihn verblüfft an. »Woher weißt du denn das schon wieder? Das ist doch streng geheim.« Beaufort wollte antworten, doch der Justizpressesprecher ließ ihn gar nicht zu Wort kommen und deutete auf den zitronengelben fabrikneuen Golf. »Und was ist das eigentlich für ein Auto? Doch nicht etwa das neue von Anne? Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist. Du bist nicht mit deiner Journalistin hier, oder? Das kann nicht sein. Hört Anne neuerdings Polizeifunk ab, oder was?«
»Ekki, reg dich wieder ab«, versuchte Beaufort zu beschwichtigen, dem Ertls Hang zu cholerischen Anfällen nicht unbekannt war. »Jemand, der die Leiche gesehen hat, hat im BR angerufen. Es dürfte ja wohl nicht das erste Mal sein, dass ein Informant die Presse benachrichtigt, während ihr noch mitten in der Arbeit seit.«
»Ja, aber da hat es sich auch nicht um einen ermordeten Neonazi auf dem Reichsparteitagsgelände gehandelt«, erwiderte Ertl patzig.
»Ach, deshalb bist du hier! Bei einer so heiklen Angelegenheit übernimmt wohl die Justiz die Pressearbeit? Na, das ist aber auch besser so, wenn du dich persönlich darum kümmerst. Du als Richter hast ja nicht nur das Fachwissen, sondern auch das nötige Fingerspitzengefühl, um einen Imageschaden von der Stadt abzuwenden.«
»Meinst du wirklich?« Ekki kaute Beauforts Süßholz anstandslos. »Dabei habe ich mir diese verdammte Leiche noch nicht mal angesehen. Lass uns endlich hingehen.«
Während Beaufort auf dem nicht sehr langen Weg zur Ehrenhalle seinen Freund beschirmte, gelang es ihm nicht nur, Ertl zu beruhigen, sondern ihn auch davon zu überzeugen, Anne ein Interview zu geben, um sie »gezielt in die Verantwortung zu nehmen«,
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