Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
sagen, dass Abwaschen zu ihren favorisierten Hobbys gehört. Aber sie achtet diese Tätigkeit, sie will sie nicht mehr möglichst im Eiltempo hinter sich bringen. Sie nimmt sich ganz bewusst Stück für Stück vor, macht es ohne Widerwillen sauber und versucht, das Schöne darin zu sehen: wie sich der kühle Stahl unter dem warmen Strahl erwärmt; und wie das warme Wasser am Ende unter dem Schaum einen blitzenden Topf hervorspült.
Andrea Voigt hat ihr Konzept vom Abwasch geändert, würde Ulrike Anderssen-Reuster dazu sagen. Die Psychosomatikerin bringt Menschen eine neue Sicht aufs Leben bei. Sie lehrt sie Achtsamkeit – nach dem Vorbild eines Stressbewältigungsprogramms namens »Mindfulness-Based Stress Reduction«, das der amerikanische Molekularbiologe und Arzt Jon Kabat-Zinn 1979 entwickelt hat.
Um weniger Stress geht es dabei also, aber auch um mehrSinnlichkeit. »Achtsame Menschen nehmen mehr wahr, das steigert die Qualität des Erlebens und des Lebens«, sagt die Psychiaterin. Es wird geübt, die Konzentration auf den Augenblick zu lenken, die Umgebung und sich selbst möglichst genau zu beobachten, ohne die Phänomene als gut oder schlecht einzuordnen. So wird Unangenehmes oft weniger unangenehm, weil das Achtsamkeitstraining dazu beiträgt, insgesamt weniger zu werten. Es gilt, das Leben zu nehmen, wie es eben ist.
»Wir tragen sehr viele Konzepte mit uns herum«, sagt Anderssen-Reuster. Auch viele negative: Jetzt muss ich schon wieder den Müll runtertragen!, gehört dazu. Oder: Die Wäsche ist fertig, die muss ich nun auch noch aufhängen! Aus solchen negativen Konzepten vom Müll und von der nassen Wäsche können aber positive werden, wenn man diese Tätigkeiten Moment für Moment erlebt. Denn eigentlich ist das mit dem Müllrunterbringen ja gar nicht so schlimm: Man setzt einen Schritt vor den anderen und hat dabei einen Eimer in der Hand. »Und wenn man beim Wäscheaufhängen jedes Teil ganz bewusst in die Hand nimmt, die nassen Fasern spürt und es dann sorgsam auf die Leine hängt, dann tritt eine gewisse Ruhe ein, die sich sehr gut anfühlt«, ergänzt der Psychologe Stefan Schmidt.
Wenn Schmidt seinen Patienten rät, einmal über Meditation nachzudenken, winken viele zunächst erschrocken ab. Dabei geht es dem Psychologen gar nicht um Esoterik, Gurus oder LSD, wie dies wohl bei den Beatles im Vordergrund stand, als sie Ende der 1960er-Jahre in Indien das Meditieren lernten. Schmidt leitet einen Forschungsschwerpunkt namens »Meditation, Achtsamkeit und Neurophysiologie« am Klinikum der Universität Freiburg. Sein Anliegen ist die Gesundheit. Und dazu können Konzentrations- und Achtsamkeitsübungen, wie sie zur Meditation gehören, tatsächlich beitragen. Das zeigen inzwischen Forschungsarbeiten aus aller Welt.
Bereits Anfang der 1970er-Jahre fanden Forscher der Harvard-Universität heraus, dass Meditationstechniken nicht nur Geist und Körper entspannen, sondern auch messbar den Blutdruck und den Sauerstoffverbrauch senken. Auf diese Weise könne Meditation vor den krank machenden Folgen vonübermäßigem Stress schützen, sagte sich Jon Kabat-Zinn und begann sein Programm zur Stressreduktion mittels Achtsamkeit zu entwickeln. Die Grundlagen dieses heute weithin etablierten Trainings lassen sich schon in acht Wochen erlernen.
Kabat-Zinns Buch ›Gesundheit durch Meditation‹ ist inzwischen legendär. Demnach scheint die Technik nicht nur Gesunden zu helfen. Sie wird mittlerweile auch gegen zahlreiche Krankheiten eingesetzt – unter anderem bei Essstörungen und Suchterkrankungen, bei chronischen Schmerzen und Depressionen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde weist darauf hin, dass es bisher nur »wenige als wirksam evaluierte Präventionsstrategien« gegen Burn-out gibt. Eine Ausnahme aber sei das achtsamkeitsbasierte Stressmanagementprogramm.
So betreiben Menschen mit Depressionen häufig exzessiv, was fast alle Zeitgenossen viel zu viel tun: Sie denken ständig über sich selbst nach. »Man geht von einem Ort zum anderen und ist dabei doch nur die ganze Zeit in seinen Sorgen gefangen«, sagt Anderssen-Reuster. »Es kann aber sehr entlastend sein, aus diesem Grübelkreislauf herauszukommen und Eindrücke zu sammeln.«
Zwar wurden die medizinischen Leistungen der Meditation in den Anfängen der Forschung an Meditationsmeistern festgestellt, die auf dem Weg zur Erleuchtung schon ein gutes Stück vorangekommen waren.
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