Rette mich vor dir
geht, und da ich vermutlich erschossen werde, bevor ich fünfundzwanzig bin, möchte ich zumindest vorher noch ein paar Mal was zu lachen haben. Aber deshalb bin ich noch lange nicht dein Clown oder dein Kindermädchen. Wenn es drauf ankommt, ist es mir scheißegal, ob Kent und du euer Zeug geregelt kriegt. Wir müssen uns hier unten um tausenderlei Dinge kümmern, und euer Liebesleben gehört ganz bestimmt nicht dazu.« Er hält inne. »Ist das klar?«
Ich nicke, traue meiner Stimme nicht.
»Du machst also mit?«, fragt er.
Ich nicke wieder.
»Ich will es von dir hören. Wenn du mitmachst, dann hundertprozentig. Dann ist Schluss mit dem Selbstmitleid. Dann kannst du auch nicht mehr den ganzen Tag im Trainingsraum hocken und heulen, weil du es nicht hinbekommst, ein Metallrohr in zwei Stücke zu zerlegen –«
»Woher weißt –«
»Machst du mit?«
»Ich mache mit«, sage ich ihm. »Hundertprozentig. Versprochen.«
Kenji holt tief Luft. Streicht sich durch die Haare. »Gut. Wir treffen uns morgen früh um sechs vor dem Trainingsraum.«
»Aber meine Hand –«
Er macht eine wegwerfende Geste. »Kein Ding. Das wird wieder gut. Du hast nicht mal was zertrümmert. Du hast dir die Knöchel lädiert, und dein Hirn ist ein bisschen ausgerastet, und du hast drei Tage geschlafen. So was ist für mich keine Verletzung. Sondern Urlaub.« Er überlegt. »Hast du eine Vorstellung davon, wann ich zum letzten Mal Urlaub hatte –«
»Aber wollen wir denn nicht trainieren?«, unterbreche ich ihn. »Mit einer bandagierten Hand geht das doch nicht, oder?«
»Vertrau mir.« Er legt den Kopf schief. »Das haut schon hin. Es wird … ein besonderes Training werden.«
Ich starre ihn an. Warte.
»Du darfst es als offizielles Willkommensritual in Omega Point betrachten«, sagt er.
»Aber –«
»Sechs Uhr, morgen früh.«
Ich öffne den Mund, um noch eine Frage zu stellen. Aber Kenji legt 1 Finger an die Lippen, grüßt mit 2 Fingern und geht rückwärts zur Tür, während Tana und Randa ihre Betten ansteuern.
Kenji nickt den beiden zu, macht dann kehrt und marschiert zur Tür raus.
6.00.
11
Ich werfe einen Blick auf die Uhr an der Wand und sehe, dass es erst 14.00 Uhr ist.
Das heißt, erst in 16 Stunden ist 6.00 morgens.
Das heißt, ich muss noch viel Zeit überbrücken.
Das heißt, ich muss mich anziehen.
Weil ich hier rausmuss.
Um mit Adam zu reden.
»Juliette?«
Ich kehre mit einem Schlag in die Gegenwart zurück, sehe, dass Tana und Randa mich anstarren. »Können wir dir was bringen?«, wollen sie wissen. »Fühlst du dich gut genug, um aufzustehen?«
Ich schaue von einem Augenpaar zum anderen und wieder zurück, und statt die Fragen der beiden zu beantworten, empfinde ich ein niederschmetterndes Schamgefühl und verwandle mich unwillkürlich wieder in eine andere Version meiner selbst. In ein ängstliches kleines Mädchen, das sich so klein machen möchte, dass man es nicht mehr findet.
Ich sage: »Es tut mir leid, es tut mir so leid, alles tut mir so leid, und dass ihr so viel Mühe mit mir habt und dass ich so viel zerstöre, ganz ehrlich, es tut mir so leid –«
Ich höre mich immer wieder dasselbe leiern und kann nicht damit aufhören.
Es ist, als sei ein Schalter in meinem Kopf kaputt, als hätte ich eine Krankheit, die mich zwingt, mich unentwegt zu entschuldigen, für meine Existenz, für meine Wünsche, für alles, und ich kann mir nicht Einhalt gebieten.
Das tue ich immer.
Ich entschuldige mich ständig. Seit Ewigkeiten. Für das, was ich bin und niemals sein sollte, für diesen Körper, in dem ich geboren wurde, diese Gene, um die ich nicht gebeten habe, diese Person, die ich nicht verändern kann. 17 Jahre lang habe ich mich bemüht, anders zu werden. Tag für Tag. Für andere anders zu sein.
Es hat nichts genützt.
Dann merke ich, dass die beiden mit mir sprechen.
»Du musst dich für nichts entschuldigen –«
»Bitte, es ist doch alles gut –«
Beide reden auf mich ein, aber Randa ist näher bei mir.
Ich bringe den Mut auf, ihr in die Augen zu schauen, und wundere mich, wie sanft sie wirken. Grün, gütig, von Lachfältchen gesäumt. Sie setzt sich auf die rechte Bettseite. Tätschelt mir den Arm, entspannt und furchtlos, geschützt durch einen Gummihandschuh. Tana steht neben ihr, schaut mich an, als sei sie besorgt, als bedaure sie mich. Ich denke nicht lange darüber nach, denn etwas lenkt mich ab. Es riecht intensiv nach Jasmin, wie beim ersten Mal, als ich die
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