Rette mich vor dir
der Zeit, bis Kenji und Adam und Castle verstehen würden, dass es ein Fehler ist, nett zu mir zu sein. Dass das nur übel enden kann. Dass ich es nicht wert bin. Weil ich nur ein Werkzeug, eine Waffe, eine heimliche Mörderin bin.
Aber Kenji nimmt ganz sachte meine rechte Hand. Achtet darauf, die Haut nicht zu berühren, als er mir den zerfetzten Lederhandschuh abstreift, und saugt erschrocken die Luft ein, als er meine Knöchel sieht. Die Haut ist aufgeplatzt, überall ist Blut, und ich kann die Finger nicht mehr bewegen.
Ich merke, dass ich schreckliche Schmerzen habe.
Ich blinzle, und Sterne explodieren, und das Gefühl, das jetzt durch meine Glieder schießt, ist so heftig, dass ich nicht mehr sprechen kann.
Ich keuche
und
die
Welt
Verschwindet
9
Mein Mund schmeckt nach Tod.
Ich schaffe es, die Augen aufzuschlagen, und sofort schießt ein höllischer Schmerz in meinen rechten Arm. Meine Hand ist so dick bandagiert, dass sich die Finger nicht mehr bewegen lassen, und ich merke, dass ich dankbar dafür bin. Bin so erschöpft, dass ich nicht mal Kraft zum Weinen habe.
Ich blinzle.
Versuche mich umzuschauen, aber mein Nacken ist steif.
Jemand streicht mir über die Schulter, und ich spüre, dass ich ausatmen will. Blinzle wieder. Und noch einmal. Das Gesicht eines Mädchens, verschwommen. Ich bewege den Kopf ganz vorsichtig. Blinzle weiter.
»Wie fühlst du dich?«, flüstert das Mädchen.
»Okay«, sage ich zu dem verschwommenen Blick, aber ich lüge wohl. »Wer bist du?«
»Ich bin’s«, sagt das Mädchen leise. Ihre Stimme klingt mitfühlend. »Tana.«
Natürlich. Ich muss auf der Krankenstation sein.
»Was ist passiert?«, frage ich. »Wie lange war ich bewusstlos?«
Sie antwortet nicht, und ich frage mich, ob sie mich nicht gehört hat.
»Tana?« Ich versuche sie zu erkennen. »Wie lange habe ich geschlafen?«
»Du warst schwer krank«, sagt sie. »Dein Körper brauchte Zeit –«
»Wie lange?«, flüstere ich.
»Drei Tage.«
Ich setze mich abrupt auf und spüre sofort, dass mir übel wird.
Tana hat zum Glück damit gerechnet und hält mir einen Eimer hin, in den ich meinen kümmerlichen Mageninhalt ergieße. Das Krankenhaushemd bleibt verschont, aber ich würge trocken weiter, während mir jemand mit einem feuchten warmen Tuch das Gesicht abwischt. Das fühlt sich so angenehm und tröstlich an, dass es mir etwas besser geht. Jetzt sehe ich, dass auch Randa hier ist.
Die beiden beugen sich über mich, wischen mit den warmen feuchten Tüchern über meinen Körper, reden beruhigend auf mich ein, sagen mir, dass alles gut wird, dass ich noch viel Ruhe brauche, dass ich jetzt länger wach sein werde und etwas essen kann, dass ich mir keine Sorgen machen soll, denn sie kümmern sich um mich.
Doch dann schaue ich genauer hin.
Und bemerke, dass die Mädchen Gummihandschuhe tragen. Dass eine Infusion in meinem Arm steckt. Dass die beiden besorgt und besonders sorgsam zugleich wirken. Und mir wird klar, wo das Problem liegt.
Die Heilerinnen können mich nicht berühren.
10
Mit jemandem wie mir hatten sie noch nie zu tun.
Alle Verletzungen hier werden von den Heilerinnen behandelt. Sie können gebrochene Knochen und Schusswunden und kollabierte Lungen und übelste Schnittverletzungen heilen – das weiß ich, weil Adam in Omega Point auf einer Trage hereingeschleppt wurde, als wir eintrafen. Warner und seine Schergen hatten ihn übel zugerichtet, nachdem wir aus dem Stützpunkt geflüchtet waren, und ich hatte vermutet, sein Körper würde für immer schlimm vernarbt sein. Doch er sieht völlig unversehrt aus. Wie neu. Die Heilerinnen brauchten nur einen einzigen Tag, um ihn wiederherzustellen; es war wie Zauberei.
Doch für mich gibt es keine Zaubermedizin.
Keine Wunder.
Tana und Randa erklären mir, dass ich einen schweren Schock erlitten habe. Mein Körper hat sich komplett überfordert, und es ist erstaunlich, dass ich überlebt habe. Die beiden glauben auch, dass durch die lange Bewusstlosigkeit die psychischen Schäden eingedämmt wurden, doch da bin ich mir nicht so sicher. Es dauert vermutlich sehr lange, bis man so etwas verarbeitet hat. Ich war den größten Teil meines Lebens psychisch beschädigt . Aber zumindest lassen die körperlichen Schmerzen nach. Ich spüre nur noch ein stetiges Pochen, dass ich manchmal nicht mal mehr bemerke.
Da fällt mir etwas ein.
»Früher«, sage ich. »In Warners Folterkammer und dann bei der Stahltür – es ist nie – das ist nicht –
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