Rettungskreuzer Ikarus Band 022 - Die letzten Movatoren
einem großen Theaterspiel, das Sonja eben
so beiläufig gegeben hatte, regte sich die Anomalie und erwachte zu neuem
Leben, auch ohne das Sprungtor. Und Sonja begriff, dass der Tag der Geschenke
noch nicht vorbei war.
Hier kam das größte.
Die Anomalie faserte auf, schien sich zu wölben und zu verzerren, als würden
alle Linien des Weltraums bis zum Zerreißen gespannt. Gleichzeitig schlugen
die Anzeigen aus. Eine Welle von Strahlung brandete gegen die Ikarus und stürmte weiter in Richtung der Station. Im sichtbaren Bereich zeigte
sie sich als blendendes Licht, das durch verschiedene Farben des Spektrums lief:
ein elektrisches Violett, ein grelles Weißgold, irgendetwas wie ein kaum
sichtbares Dunkelblau. Und aus diesem Wirbelsturm der Farben und der Verzerrung
tauchte etwas auf, nicht gemächlich, nicht mit raschem Flug, sondern plötzlich,
als wäre es in diesem Moment neu erschaffen worden. Es bewegte sich nicht,
hing reglos im Raum, während die Fasern der Anomalie um das Gebilde zusammenfielen
und züngelnd verschwanden. Zurück blieben ruhige, dunkle Leere und
ein fremdartiges – Ding.
Der ganze Vorgang hatte nicht einmal eine Minute gedauert und Sonja war, wie
auch die anderen, aufgestanden und näher an den großen Bildschirm
getreten, ihre Verblüffung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Jetzt schluckte
sie, räusperte sich und starrte auf die Daten, die auf der Anzeige erschienen.
»Es ist – riesig. Eine Raumstation?«
»Nein.« Das war An'tas Stimme, ausdruckslos. »Ein Raumschiff.«
»Woher ...«
»Die Struktur.« Die Grey zuckte mit den Schultern. »Nur eine
Vermutung natürlich. Ich habe so ein Schiff auch noch nie gesehen.«
»Die Outsider?«
Sonja betrachtete die klaren, nüchternen Formen des Körpers, die nicht
einmal eine Spur der tödlichen Eleganz der Hairaumer hatten, mit denen
die Outsider Vernichtung in diesen Sektor des Universums trugen. Sie schüttelte
nur den Kopf. Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein Volk zwei
so unterschiedliche Arten von Raumschiffen baute, sich selbst in ihrer Gestaltung
so untreu wurde. Der Riese dort vor ihnen strahlte Funktionalität aus,
Sparsamkeit, ja sogar Grobheit. Keine Eleganz.
Vor der gleichförmigen Dunkelheit des Weltraums war es schwer, die Ausmaße
eines Objektes mit bloßem Auge abzuschätzen. Die Scanner der Ikarus aber lieferten genaue Daten. Trooid informierte sie darüber, dass der fremde
Raumer einen Durchmesser von etwas mehr als 1200 Metern hatte. Es war achteckig,
mit perfekter Symmetrie, und wies rundum Strukturen auf, die Landebuchten und
Waffensysteme sein mochten. Es gab keinerlei Zeichen, dass das Schiff aktiv
war. Keine Positionslichter, kein Funksignal, keine Bewegung. Es hing still
und stumm im All wie ein lange vergessenes Relikt alter Zeiten.
»Warum melden sie sich nicht?« Thorpas Stimme klang nervös. Er
war darin geschult, durch Kommunikation Rückschlüsse auf andere Wesen
zu ziehen. Schweigen machte ihn unsicher. Darin unterschied er sich nicht vom
Rest der Crew.
»Vielleicht können sie nicht.« Trooids Hände flogen über
die Konsole, und er vergrößerte Ausschnitte des riesigen Raumers.
Sonja sah geschwärzte Stellen auf dem Material der Außenhülle,
größer als die ganze Ikarus , die wie der Schattenriss einer
Blüte aussahen. Dazu schwarze gezackte Blitzlinien, die über den Schiffskörper
liefen. Sie konnten Stellen sehen, an denen die Panzerung schichtweise abgesplittert
war. Es sah filigran aus, aber angesichts der Größe des Schiffes
mussten es enorme Flächen sein, Zeugnisse von brutalen Einschlägen.
Ohne Zweifel waren hier Titanen im Kampf verstrickt gewesen. Sonja fragte sich,
ob der Raumer vor ihnen auch genauso ausgeteilt hatte, wie er hatte einstecken
müssen.
Weenderveen stieß ein tonloses Pfeifen aus und brachte ihre Gedanken auf
den Punkt.
»Yipp, die haben ordentlich eines mitgekriegt. Ich will gar nicht wissen,
wer auf so einen großen Pott geschossen und ihn derartig beschädigt
hat.«
»Immerhin haben sie es noch geschafft zu entkommen«, wandte An'ta
ein. »Und bei der kompakten Form dürften die meisten Innenräume
nicht allzu stark beschädigt worden sein, sonst hätte es die Außenhülle
mehr zerrissen.«
»Aber warum melden sie sich dann nicht?«, wiederholte Thorpa hartnäckig.
Trooid schüttelte den Kopf. »Ich kriege keinerlei Lebenszeichen. Keine
Nachrichten,
Weitere Kostenlose Bücher