Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen
denn nach Kontemplation zu rufen schienen.
Aber er selbst war alt, längst war seine Zeit der großen Taten vorbei.
Der Zusammenbruch des Haupttempels hier auf Sankt Salusa hatte etwas in ihm
zerbrechen lassen, eine Gewissheit und ein Vertrauen, von dem er vorher nicht
einmal gespürt hatte, dass er es besaß. Durch die Trümmer dieses
Gefühls wehte nun sein innerer Sturm. Die Welt des Scriptoriums, wo der
die alten Künste des Schreibens und der Illumination am Leben erhalten
konnte, war nun die seine. Hier fand er etwas wie Frieden. Wenn die Outsider
eines Tages nach Sankt Salusa kamen, dann würden sie ihn hier vorfinden,
die Feder in der Hand und gebeugt über einen heiligen Text. Der Gedanke
machte ihm keine Angst mehr.
Das Krachen einer grob aufgestoßenen Tür schreckte Bruder Alfar aus
seinen schattenhaften Gedanken. Mit milder Empörung hob er den Kopf, um
zu sehen, wer die Regeln dieses Ortes so ungestüm verletzte. Er erwartete
einen der Eleven zu sehen, der mit hochrotem Kopf bemerkte, dass sein jugendlicher
Schwung ihn in eine peinliche Situation gebracht hatte. Aber zu seiner Verwunderung
war es der stattliche und sonst so ruhige Prior Tobias, der durch den Gang zwischen
den Tischen stürmte. Er war erst vor kurzem in diesen Rang befördert
worden – bei der Katastrophe, die den Haupttempel zahlreiche seiner Räumlichkeiten
gekostet hatten, waren auch 22 Priores verschwunden. Einige hatten den Weg zurück
nach Sankt Salusa gefunden, aber andere waren bis zum heutigen Tag verschollen
– gerüchteweise hatten ein paar Prior Sebald in sein selbst gewähltes
Exil begleitet. Erzprior Decorian hatte bei der Auswahl der neuen Kandidaten
sehr viel Einfluss geltend gemacht. Bruder Tobias galt als freundlich, unauffällig
und anpassungsfähig, so hieß es.
Nicht, dass er jetzt danach aussah. Sein Gesicht war eine Maske mühsam
beherrschter Wut. Prior Tobias hatte das Haus der Schüler unter sich, wo
die nächste Generation der Brüder und Schwestern der Galaktischen
Kirche heranwuchs. Bruder Alfar hatte ihn noch nie derart aufgebracht gesehen,
nicht einmal, als zwei besonders fehl geleitete Schüler die Statue der
Erzpriorin Santesala mit einigen pikanten Accessoires geschmückt hatten.
Ohne einen Blick zur Seite eilte Prior Tobias an den Tischen vorbei und zu einer
Nische, die direkt neben Alfars Platz war. Durch die dünne Trennwand hörte
er mühelos die Stimmen, auch wenn er sich bemühte, nicht zu lauschen.
Erst jetzt realisierte er, wer in dem kleinen Raum neben ihm saß und studierte
– seine eigene Arbeit hatte ihn zu sehr gefangen genommen, um darauf zu
achten.
»Erzprior Decorian«, rief Tobias, mehr als nur eine Spur zu laut in
seinem Zorn. »Ich muss mich beschweren! Sehr beschweren!«
»Prior Tobias.« Die antwortende Stimme klang verblüfft, aber
freundlich. Der Erzprior war tatsächlich im Scriptorium! Nun, Decorian
hatte sich früher öfter hier aufgehalten, bevor er die hohen Würden
empfing. Die Stille des Ortes tat allen gut. Doch dass Prior Tobias ihn einfach
so aufsuchte und bei ihm herein polterte, war ein immenser Bruch der Etikette.
Er musste sehr erregt sein, um so etwas Empörendes zu tun. Der Erzprior
schien allerdings nicht erbost.
»Setze dich. Du musst dich beschweren? Worüber?«
Alfar hörte nicht, dass ein Stuhl bewegt wurde, also kam Prior Tobias anscheinend
der Aufforderung des Erzpriors nicht nach.
»Über Asiano!«, kam die Antwort schnell wie ein Blitz und mit
gleicher Heftigkeit. Dann folgte eine kurze Pause, vermutlich gefüllt mit
dem strengen Blick Decorians, denn Tobias verbesserte sich. »Prior Asiano,
Ehrwürden. Ich beschwere mich über Prior Asiano und seine Fedayin,
die, die er mitgebracht hat.«
»Das klingt erstaunlich in meinen Ohren, Prior Tobias. Ich habe bisher
nur Gutes über die Arbeit unseres neuen Fedayin-Kommandanten und seiner
Leute gehört. Soweit mir bekannt ist, bringen sie Ruhe, Sicherheit und
Ordnung in unsere Gemeinschaft.«
»Ordnung, ja.« Tobias' Stimme hatte unverkennbar einen fast höhnischen
Unterton. »Sie bringen ihre eigene Ordnung, Ehrwürden! Das ist unhaltbar!«
»Nun, Bruder, dann erzähle. Setze dich und berichte, was vorgefallen
ist.«
Diesmal kam Prior Tobias der Bitte nach. Seine Stimme klang jetzt ruhiger, die
Souveränität des Erzpriors glättete die Wogen seiner Wut.
»Heute früh machte Prior Asiano einen
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