Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen
Eigenschaft, aber Kentnok war zu überrascht, um wirkungsvoll zu lügen.
»Ja«, gab er unumwunden zu. »Ich fürchte ja. Schon seit
meiner Kindheit. Ich kann nichts dafür. Es steht sogar in meiner Lebensakte.«
»Und wärst du gerne selber ein Held?«
»Ein Held ...« Eigentlich war die Antwort auf diese Frage einfach,
trotzdem zögerte Kentnok. Bis gestern hätte er einfach ja gesagt,
zumindest in einem Anfall von Aufrichtigkeit und jedem gegenüber, der nicht
Tandruk war. Aber seit er den Helden kennen gelernt hatte, seine Makellosigkeit
und seine ganze überlege Art, war er sich nicht mehr sicher. Musste man
so sein, um ein Held sein zu können? Wollte er so sein?
»Naja, ein bisschen. Etwas Gutes tun, weißt du, mit dem man mal auffallen
kann. Leute retten, ein Abenteuer erleben, eine schöne Frau beeindrucken
...« Er lief dunkel an, als er den letzten Punkt nannte, aber Ruklei sah
ihn durch auffordernd an, als würde sie auf etwas warten. Auf etwas anderes
als ein simples Geständnis, das sie nicht überraschte. Auf eine Schlussfolgerung.
Sie kam im gleichen Moment über Kentnok, als er ihren Blick interpretierte.
»Ich? Ich soll den Helden erschaffen haben? Aber wie soll ich das denn
...«
Er verstummte, als Ruklei das Artefakt aus ihrer Jacke zog.
»Hiermit. Du hast mir gesagt, wann du es unabsichtlich aktiviert hast.
Fast zur gleichen Zeit stieg der Große Verschlinger aus den Tiefen, um
die Hauptstadt anzugreifen – und zum ersten Mal trat der Held auf den Plan.
Ja, ich glaube, dass du ihn erschaffen hast, ganz ohne es zu wollen. Er ist
ein Teil von dir. Etwas ... jemand aus deinem Unterbewusstsein.« Ruklei
rang um Worte und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wie
das gehen soll. Was das Artefakt macht. Aber ich glaube, es hat die Realität geändert und den Helden erschaffen. Jaja, ich weiß, es klingt unmöglich.
Aber schau ...«
Ruklei aktivierte das Informationssystem des Gleiters und rief ein Bild des
Helden auf – seit dem Vulkanausbruch gab es reichlich gute Aufnahmen von
ihm. Auf der Hälfte davon war auch Ruklei zu sehen, wie sie zerzaust und
wunderschön in seinen Armen hing. Die Astronomin ignorierte diese Bilder
und suchte ein Portrait des Helden heraus. Dann drehte sie den Innenspiegel
des Gleiters so, dass Kentnok sich selber sehen konnte.
»Schau«, wiederholte sie nur.
Kentnok starrte auf den kleinen Bildschirm und in das markante Antlitz des Helden
mit dem ewigen Lächeln, dem lackschwarzen Haar und dem blaustrahlenden
Blick. Dann wandte er sich widerwillig dem Spiegel zu und es war ihm, als sähe
er sich selbst zum ersten Mal. Sicher, seinem Gesicht fehlten die edle Massigkeit
des Helden, das frische Grün und die heldenhafte Wildheit des gerade überstandenen
Abenteuers. Aber ansonsten ... Es kam Kentnok absurd vor, aber er stellte zum
ersten Mal fest, dass er blaue Augen hatte. Es gab keinen Spiegel in seiner
Wohnung, nur einen im Waschraum seiner Firma und da hatte er sich nie länger
als einen flüchtigen Augenblick betrachtet, um sicher zu stellen, dass
er nicht versehentlich nach der Arbeit eine halbe Immerraupe im Gesicht trug.
Sein Haar war zerzaust, doch ohne Zweifel schwarz. Nach Lächeln war ihm
gerade nicht zu Mute, aber er wusste, wenn er es versuchen würde, müsste
es ihm vertraut vorkommen.
Ruklei hatte Recht.
Ohne es zu merken schob Kentnok den Spiegel wieder zur Seite und spürte,
wie eine schwarze, furchtbare Wolke in ihm aufstieg.
»Dann bin ich für all das verantwortlich? Für den toten Laboranten
und dafür, dass du bei dem Vulkanausbruch verletzt wurdest? Für die
zerstörte Stadtbahn und ... alles?«
Rukleis Stimme war sanft, aber es war keine Zeit für Beschönigungen
oder Lügen.
»Ja«, sagte sie. »Auf gewisse Weise bist du das, aber ohne Absicht.
Du konntest ja nicht wissen, was das Artefakt tun würde. Und was dein Unterbewusstsein
daraus macht. Du warst der Auslöser, aber du hast keine Schuld.«
Stumm blickte Kentnok in den Himmel. Von dem Raumhafen außerhalb der Stadt
stieg mit hellem Kondensschweif ein Schiff auf und malte einen Streifen über
das klare Blau, das nicht verriet, was für eine Katastrophe dieser Tag
für Kentnok war. Noch während er schaute, gab es einen dumpfen Knall
wie eine weit entfernte, aber enorme Explosion und die anmutige Bahn des Raumschiffs
brach plötzlich ab, als das Fahrzeug seinen Antrieb verlor. Eine
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