Rettungskreuzer Ikarus Band 032 - Vor der großen Stille
mag es da gehen?«, fragte Darius. An'ta sah ihn erneut an,
als habe er eine große Dummheit von sich gegeben, behielt aber diesmal
jeden möglicherweise ätzenden Kommentar für sich. Sie konnte
aber ein sanftes, triumphierendes Funkeln in ihrem Blick nicht verbergen.
»Ich werde es bald erfahren«, antwortete Sentenza. »Sonja hat
während meiner Abwesenheit das Kommando. Ich glaube nicht, dass dies sehr
lange dauern wird. Wenn nötig, bugsiert die Ikarus zurück zum
Raumhafen und wartet dort auf mich. Sollte sich Cedian melden, so informiert
ihn über die aktuellen Entwicklungen und sagt ihm, er soll sich bedeckt
halten.«
Sie wussten, dass der Adlat die Kämpfe gegen die Outsider unbeschadet überstanden
hatte, jedoch noch an den orbitalen Aufräumarbeiten beteiligt war.
Dann verließ Sentenza die Brücke, um sich eine frische Montur überzuziehen.
Und um einige Minuten ungestört nachdenken zu können.
4.
Früher war der Amtssitz des Gouverneurs sicher ein beeindruckendes und
prächtiges Gebäude gewesen. So manches von dem, was es früher
ausgestrahlt haben musste, war noch zu erkennen. Doch natürlicherweise
war es Ziel vieler Angriffe aus dem Orbit gewesen und so bestand es zu einem
großen Teil aus Trümmern – aktuellen und alten. Ein gedrungenes
Zentralgebäude mit weiten Panoramafenstern war das einzige Bauwerk, das
intakt wirkte, und das lag wohl vor allem an den Schirmfeldgeneratoren, mit
denen es umgeben war. Sentenza wusste auch seinem beiläufigen Gespräch
mit Hozz, der den Gleiter sicher auf das Hauptquartier zusteuerte, dass die
meisten wichtigen Anlagen ohnehin unterirdisch angelegt waren. Der Gouverneur
allerdings residierte nach dem Rückzug der Outsider nunmehr wieder oberirdisch.
Sentenza hatte einige allgemeine Fragen gestellt und einen interessanten Einblick
in die administrativen und politischen Probleme einer Welt am Rande des Abgrundes
erfahren. Die politische Struktur des Zweiten Imperiums war eine sehr rigide
monarchisch-bürokratische Diktatur gewesen, eine seltsame Mischung aus
Adelsgeschlechtern sowie Bürokratendynastien, zwischen denen die Unterschiede
mitunter verwischten. Der Imperator und sein Hof lebten ein recht zurückgezogenes
Leben und hatten einen fast schon mythischen Nimbus um sich errichtet, als bewussten
Gegenpol gegen die Technokraten und Administratoren, die die eigentliche politische
Exekutive darstellten. Dabei war der Imperator keinesfalls machtlos, aber es
war vor allem seine Aufgabe, die sich teilweise widersprechenden Ansichten der
unterschiedlichen Geschlechter auszutarieren, für Kompromisse zu sorgen
und als Mediator aufzutreten. Die Struktur des Imperiums hatte sich mit dem
Beginn des Krieges gegen die Outsider verändert, die Familien hatten ihre
Macht zugunsten der Militärnomenklatura eingebüßt, der Imperator
griff direkter auf die Zivilverwaltung durch und Gouverneure wie Gul wurden
im Regelfalle nur danach bewertet, wie gut oder wie schlecht sie imstande waren,
den Willen des Herrschers auszuführen oder nicht. Vorbei waren die Zeiten,
in denen die komplizierte Konkurrenz der verschiedenen Dynastien zu relativer
Autonomie der lokalen Administratoren geführt hatte. Hozz sagte es nicht
direkt, aber es schien, dass ein guter Teil des Frustes, den gute Verwalter
wie Gul mit sich herum trugen, nicht nur mit dem Verlauf des Krieges zu tun
hatte, sondern vor allem auch damit, dass niemand mehr auf ihre Vorschläge
und Ideen hörte und sie nur noch zu Erfüllungsgehilfen des imperialen
militärischen Apparates wurden. Sentenza hatte genug über die bekannte
Geschichte des Zweiten Imperiums gehört, um die vorsichtigen und zurückhaltenden
Schilderungen des Leutnants richtig einordnen zu können. Er kommentierte
nicht, gab nur neutrale Bemerkungen von sich und drängte Hozz nicht, zu
sehr ins Detail zu gehen.
Prior Panettone, der die ganze Zeit nur schweigend zuhörte, schien die
Szenerie förmlich mit den Augen aufzusaugen, genauso, wie er Hozz' Schilderungen
mit großer Aufmerksamkeit lauschte. Für den Historiker musste all
dies von andauernder Faszination sein. Doch war der Geistliche nicht einfach
nur ein weltfremder Wissenschaftler. Sentenza hatte nur einige wenige Worte
mit Anande wechseln können, aber es schien, als habe sich der Prior auch
seiner religiösen Wurzeln besonnen und bei der Betreuung Verwundeter bewundernswerten
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