Revenants Trilogie 01 - Von der Nacht verzaubert
überhaupt in einem fremden Haus unter diesen merkwürdigen Umständen hatte einschlafen können. »Danke, aber ich würde gerne erst noch mit Vincent allein sprechen.«
»Du solltest was essen gehen«, sagte Vincent sanft. »Ich vermute, Jean-Baptiste kommt sowieso gleich hier hereingestürmt, nachdem Gaspard ihn auf den neuesten Stand gebracht hat.«
»Dann bleib ich eben nur so lange bei dir, bis er da ist«, beharrte ich. »Ich werde euch schon finden, sobald Jean-Baptiste mich rausgeworfen hat«, sagte ich zu Charlotte.
»Gut!«, erwiderte sie mit einem aufmunternden Lächeln und schloss dann die Tür hinter sich.
Ich drehte mich zu Vincent, aber bevor ich etwas sagen konnte, nahm er mir die Worte aus dem Mund: »Ich weiß«, seufzte er. »Wir müssen uns unterhalten.«
W ir waren allein. Endlich. Eigentlich hätte ich Angst haben müssen — schließlich befand ich mich in einem alten Stadtschloss neben jemandem, der mir gerade eröffnet hatte, ein Monster zu sein —, aber ich hatte keine. Die ganze Situation war irgendwie eher peinlich als Furcht einflößend.
Ich saß ihm auf dem Bett gegenüber — diesem Jungen, der aussah, als stünde er schon mit einem Fuß im Grab. Doch selbst in diesem geschwächten Zustand war er wunderschön. Obwohl ich guten Grund gehabt hätte, mich zu fürchten, gewann eine andere Gefühlsregung Oberhand. Ich wollte ihn beschützen.
»Also«, sagte Vincent.
»Also, du bist unsterblich.«
»Ich fürchte, ja.«
Er sah müde und besorgt aus und zum ersten Mal sehr verletzlich. Mir war, als läge plötzlich alles in meiner Hand. Und in Bezug auf uns tat es das sicher auch.
»Wie geht’s dir damit?«, fragte er.
»Das ist ganz schön viel auf einmal. Aber es erklärt so Einiges.« Seine Hand hielt meine umklammert. »Ist das einer der Gründe dafür, dass ich so ruhig bin? Weil du meine Hand hältst?«
»Was meinst du?«, sagte er mit einem schiefen Grinsen.
»Ist das eine eurer Superkräfte? Statt Röntgenblick habt ihr die Superberuhigungspower oder so was in der Art?«
»Superkräfte!«, gluckste er. »Ja, Fräulein Aufmerksam. Wie hast du das nur rausbekommen?«
»Charlotte hat das vorhin auch mal gemacht. Und ich bezweifle stark, dass ich dieses — wie soll ich sagen — sehr aufschlussreiche Treffen so gut weggesteckt hätte, wenn du mich nicht auf diese ganz spezielle Art berührt hättest.«
Seine Mundwinkel bogen sich leicht nach oben. Er lockerte seinen Griff und fuhr über meinen Handrücken. »Ich verstehe. Aber nicht jede Berührung ist eine Beruhigungsberührung, das muss ich schon absichtlich machen. Im Moment machst du jedoch den Eindruck, als kämst du ziemlich gut ohne klar.«
Mein Blick fiel auf seinen Nachttisch, auf dem das gerahmte Foto lag, mit dem Bild nach unten. Oben drauf erkannte ich den Brief, den ich ihm am Tag zuvor geschrieben hatte. Es kam mir vor, als wäre das Jahre her.
»Du hast meine Nachricht bekommen«, sagte ich.
»Ja. Die hat mir zumindest erklärt, warum du mich plötzlich so dringend sprechen wolltest.« Er lachte. »Ich kann es noch immer nicht fassen, dass Jean-Baptiste dich ins Haus gelassen hat. Es ist auch ein bisschen seine Schuld, dass du mich gefunden hast, selbst wenn ich dich damals hierher gebracht habe. Das nehme ich nicht allein auf meine Kappe. Aber wie du es geschafft hast, dass er dich überhaupt durch die Eingangstür gelassen hat, werde ich nie verstehen.«
Vincents Lachen klang triumphierend. »Du verblüffst mich immer wieder«, sagte er und seine Augen strahlten vor Wärme. Ich sonnte mich geradezu darin, bis er die Augen schloss und sich zurück in die Kissen lehnte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt.
»Ja, mir geht’s gut. Ich bin nur noch ein bisschen schwach. Würdest du mir etwas von dem Tablett geben?« Er nickte in die Richtung eines Falttabletts, das am Kopfende des Betts stand. Darauf befand sich eine große Auswahl an Obst und Nüssen.
Ich schnappte mir einen Teller voller Datteln und setzte mich damit direkt neben ihn.
»Danke«, sagte er und berührte noch einmal kurz meinen Arm, bevor er sich eine Dattel in den Mund steckte.
»Die Kette war also für Charlotte«, stellte ich fest und beobachtete dabei aufmerksam sein Gesicht.
Er grinste. »Siehst du? Eine Freundin, nicht meine Freundin. Ich kenne sie seit ... hm, wie lange wohl schon? Ein halbes Jahrhundert?«
»Nicht, dass das wichtig wäre«, fügte ich schnell ein wenig verlegen hinzu.
»Natürlich nicht«,
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