Revolution - Erzählungen
an, weil aus Dänemark Handwerkerkolonnen kommen und in kürzester Zeit fünf Häuserzeilen hochziehen. Kleine Reihenhäuser aus Holz, in denen die Grönländer wohnen sollen. Kein Grönländer ist am Bau beteiligt. Die Dänen arbeiten vierundzwanzig Stunden im Schichtbetrieb, schließlich ist es die ganze Zeit über hell – angefangen wird, sobald der Boden frostfrei ist. Die meisten Männer sind Junggesellen. Am Wochenende laufen sie Amok. Die Handwerker saufen wie die Schweine und benehmen sich wie die Affen. Und die grönländischen Mädchen laufen ihnen hinterher, weil die Handwerker Geld haben und sie sich gratis besaufen können. Für einen dänischen Schwanz bekommen die Mädchen ein warmes Bett zum Schlafen und vielleicht auch eine Mahlzeit. Barackenmädchen und Hafenmädchen. Die jungen Männer aus der Stadt sind verbittert, bei den Tanzveranstaltungen am Wochenende kommt es zu Schlägereien. Einige der Dänen heiraten ein Mädchen und bleiben viele Jahre in der Stadt, oder sie nehmen ihre Frau mit nach Dänemark. Das sind die anständigen Männer. Die meisten aber schwängern die Mädchen nur und verschwinden wieder.
Ich sehne mich danach, in die Zivilisation zu kommen. Jedes Jahr werden einige große Jungs auf die Technische Hochschule nach Dänemark geschickt; zwei Jahre später kommen sie zurück. Sie sind unglaublich interessant – schick, moderne Kleidung, neue Frisuren. Sie bewegen sich anders, reden anders und haben etwas an sich, das auch ganz anders riecht. Man erkennt es nicht sofort. Aus der Entfernung beobachte ich sie mit meiner Klassenkameradin Malo.
»Ich glaube, das ist Anton«, sagt Malo.
»Anton? Nee, ist er’s wirklich?«
»Ich bin nicht sicher«, sagt Malo.
»Er sieht gut aus.«
»Ja.« Wir wagen es nicht einmal, den Burschen anzusprechen, so hot ist er.
In den dänischen Frauenillustrierten meiner Mutter sehe ich eine Menge Bilder – Fotos von Hippies, Burschen mit langen Haaren, Blumenkindern. Irgendetwas Neues entsteht da. Und ich möchte dabei sein. Anton verblasst ziemlich schnell. Das schicke neue Zeug wird alt, Familienmitglieder stehlen ein bisschen, und bald sieht er wieder so schäbig und heruntergekommen aus wie früher.
Dänemark
Ich habe die siebte Klasse in Holsteinsborg beendet. Ich bin zwölf Jahre alt, und bevor Vater seine nächste Stelle antritt, fahren wir ein halbes Jahr nach Dänemark in Urlaub. Wir wohnen bei der Schwester meines Vaters und in einem gemieteten Ferienhaus. Ich werde dreizehn, und ein paar Tage, bevor sie nach Hause fliegen, bringen sie mich zur Sejrgårdschule in Tølløse.
»Auf Wiedersehen!«, verabschiede ich mich und winke hastig. Jetzt ist es so weit. Ich stürze mich in die neue Welt. Aber die Dänen versetzen mir einen Schock.
»Na, bei euch im Dorf gab’s offenbar genug Seehundspeck«, sagt ein älterer Schüler zu mir, kneift mich in die Wange und grinst. Ich schäme mich und habe Angst. Ich gehe auf die Toilette, weine und betrachte mich im Spiegel. Ich bin eine halbe Grönländerin, mit dicken Wangen und glattem schwarzen Haar. Aber ich spreche Dänisch und habe als Dänin in Grönland gelebt. Aber hier klingt Dänisch so merkwürdig und anders. Die Dänen reden sehr hart miteinander. Großmutter hat mir erzählt, dass die ersten Grönländer, die im 18. Jahrhundert nach Dänemark kamen, am Schock starben. Auf der Schule gibt es noch andere Halbdänen aus Grönland – wir alle sind Außenseiter. Ich versuche, mit einem dänischen Mädchen in Kontakt zu kommen.
»Du stinkst nach Pisse«, sagt sie.
»Was meinst du?«
»Ihr Grönländerweiber wascht eure Haare doch mit Pisse, ihr seid einfach eklig.« Sie dreht mir den Rücken zu und geht. Noch nie hat jemand so etwas zu mir gesagt.
Das einzig Vertraute an der Schule ist das Klavier in der Aula. Im ersten Jahr spiele ich, so oft ich kann. Um mich zu verstecken.
Nach einiger Zeit entkomme ich meiner Isolation. Ich habe eine Form der Verteidigung gefunden, extreme Arroganz: Ich benehme mich würdevoll – kalt, aufrechter Gang, die Nase nach oben. Freundlich und sachlich, aber unnahbar. Man soll mir nicht zu nahe kommen. Man soll es nicht einmal versuchen.
Glücklicherweise gibt es an der Schule sehr viele Auslandsdänen; ihre Eltern sind Botschafter in Indien oder Malaysia, oder es sind Kinder von Entwicklungshelfern, die in Afrika arbeiten. Wir haben etwas gemeinsam, wir alle sind nicht in Dänemark aufgewachsen, obwohl wir Dänen sind. Allerdings stammen die meisten
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