Revolution - Erzählungen
wartet. Hundert Jahre? Das ist nichts. Diese weißen Menschen werden sie niemals aus der Fassung bringen. Sie hat eine Mission. Sie will nach oben. Vielleicht sucht Tore das Fremde in ihr. Vielleicht suche ich dasselbe in Sigve. Ich stelle mich Tunu auf Englisch vor. Sie ist hübsch, gut angezogen, ihre Augen sind hart. Möglicherweise ist sie eine Dame der Nacht. Ich frage, was sie trinken möchte. Bier. Ich hole es, gieße ein, reiche ihr das Glas. Spreche Swahili.
»Spülen wir die Müdigkeit weg«, sage ich. Sie leuchtet auf.
»Du bist ja ein totaler Swahili«, sagt sie grinsend.
»Ja, geboren in Arusha.«
»Ich komme aus Arusha Chini.«
»Ich bin dort auf die Jagd gegangen, zusammen mit den Massai.«
»Wirklich?«, fragt sie lachend.
»Ja.«
»Kennst du meinen Freund?« Tunu nickt in Richtung Tore.
»Ich weiß, wer er ist«, sage ich. »Ich bin mit seiner Frau zusammen.«
»Wirklich?«, fragt sie erneut und lacht. »Wer ist seine Frau?«
»Die mit dem langen blonden Haar«, erwidere ich mit einer Kopfbewegung hinüber zu Sigve, die sich mit den Kindern unterhält. Sigve schaut zu mir herüber. Ich lächele ihr zu. Sie schaut auf die Kinder, dann wieder zu mir. Ich kann ihren Blick nicht deuten.
»Sie ist hübsch.«
»Wenn du ihren Mann nimmst, muss ich helfen, damit sie nicht einsam ist«, erkläre ich. Tore hat sich einen Drink besorgt, kommt auf uns zu. Nickt. Ich nicke zurück.
»Ach, ihr kennt euch?«, fragt er.
»Nein, aber Mick ist aus Arusha«, sagt Tunu. »Er ist jetzt mit deiner Frau zusammen.«
»Ja, ich weiß.«
Ich sehe, dass Sigve uns beobachtet. Aber sie kommt nicht zu uns. Tunu reicht Tore ihr Bierglas.
»Halt das bitte mal für mich«, sagt sie und geht hinauf ins Haus. Ich rauche eine Zigarette. Tore zieht die Luft ein. Hält einen Moment den Atem an, bevor er sagt: »Behandele sie gut.«
»Das werde ich.« Eine etwas ältere Frau tritt zu uns. Sie ist eine holländische Ärztin, auch im KCMC .
»Wie kannst du sie mit hierhernehmen!«, zischt sie. Tore dreht sich langsam zu ihr um.
»Du bist hier seit sieben Jahren, nicht wahr?«
»Ja, sicher«, antwortet die Frau.
»Hast du nie Sex mit einem Schwarzen gehabt?«
»Nein.«
»Das beweist, was für eine Art von Rassistin du bist«, erklärt Tore und wendet sich von ihr ab – wieder mir zu.
»Und was für eine Art ist das?«, hakt die Frau nach.
»Die unerfahrene Art«, erwidert Tore, während er mir mit einem dünnen Lächeln in die Augen sieht. Die Frau schnaubt und verschwindet. Ich schaue Tore an. Aufrecht. Jetzt verstehe ich, warum Sigve ihn geheiratet hat. Vielleicht irrt sich Tore in Tunu und ihren Absichten. Oder ich bin im Irrtum über seine Motive. Vielleicht ist Tunu genau das, wovon er träumt. In diesem Moment beginnt die Musik zu spielen. Licht überschwemmt uns aus dem Haus. Der Strom ist wieder da. Tunu kommt zurück. Tore reicht ihr das Bierglas.
»Äh«, sagt er. »Ich hab noch etwas mit Sigve zu besprechen. Wie es weitergeht.«
»Okay.«
»Ich komme gleich wieder«, sagt er zu Tunu.
»Gut«, erwidert sie.
Er geht zu Sigve.
»Wo habt ihr euch kennengelernt?«, erkundige ich mich.
»Im Restaurant Golden Shower.«
»Und ihr seid ein Paar geworden.«
»Ein Paar? Er will mich heiraten.«
»Das ist doch gelogen!«
» Haki ya Mungu «, entgegnet sie – ich schwöre bei Gott. »Er hat mir ein Haus gemietet. Die Frau ist frei, du kannst sie haben.«
»Okay, das ist ziemlich zielstrebig.«
»Ja. Ich muss an die Zukunft meines Kindes denken.«
»Weiß er, dass du ein Kind hast?«
»Noch nicht«, sagt Tunu.
»Liebst du ihn?«
»Selbstverständlich. Er will mit einer Frau zusammen sein, die etwas weiß, wovon er nichts versteht.«
»Weißt du viel?«
»Ich weiß alles.«
»Und woher?«
»Aus Erfahrung.«
»Die du in deinem Leben gemacht hast?«
»Ja.«
»Alles?«
»Alles, was von Bedeutung ist.«
»Ich werde jetzt zu der weißen Frau gehen«, sage ich.
»Ja«, antwortet Tunu. »Du solltest hier nicht mit mir stehen. Du weißt bereits zu viel.«
Ich sehe mich nach Sigve um. Sie sagt etwas zu Tore, er antwortet, sie lacht kurz auf. Sie unterhalten sich auf Norwegisch.
»Mick«, sagt sie. Ich gehe zu ihr.
»Ja.«
»Es gibt keine Probleme. Alles in Ordnung?«
»Absolut«, erwidere ich.
»Okay«, sagt Tore. »Wir besprechen das noch.« Er beugt sich vor und küsst Sigve auf die Wange. Ich greife nach ihrem Arm. Die Stereoanlage spielt ABBA . Musik für alte Leute. Ich kann nicht tanzen.
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