Revolution - Erzählungen
unterhalte mich mit einem dänischen Hippie in einer afghanischen Pelzjacke, einem Isländer-Pulli, viel Schmuck und langen Haaren. Mehrere Stunden reden wir total locker zusammen. Die Intimität wächst, wir glauben beide an Utopia, keine Grenzen, alle Menschen sollen sich vereinen, wir sind einfach eine große glückliche Familie, die eine große glückliche Welt aufbaut, in der alle gleich und glücklich sind. Der Typ hat eine Hand auf meinen Schenkel gelegt und beugt sich vor.
»Woher kommst du, Sofie«, flüstert er.
»Upernavik«, flüstere ich zurück. »In Grönland.« Und schon ist Schluss. Der Liebhaber des Friedens dreht mir den Rücken zu und redet mit jemand anderem.
»Hallo?«, sage ich. Keine Reaktion. »Was ist los? Wir haben uns doch gerade so gut unterhalten?« Er steht auf und geht. Es tut verdammt weh. Grönländer stehen in dem Ruf, Säufer zu sein, ihre Frauen sind dreckige Huren mit Läusen. Ich spüre, dass mir die Tränen kommen, ich laufe hinaus und gehe mit geballten Fäusten nach Hause. Alle Hippies gehen auf die Universität und sind krank im Kopf. Sie sind verrückt nach Indien und Spiritualität, Afrikas Unabhängigkeit und internationale Solidarität; ja, es ist ja auch nicht schön, wie die Neger in der Kolonialzeit behandelt wurden, und all dieser Scheiß. Das alles vereinnahmen die Hippies kritiklos, aber über Grönländer haben sie eine knallharte Meinung in ihrem Kopf. Sie sehen nicht, dass in mir ein Mensch steckt, auch wenn ich aus Grönland komme.
Ich rede mit Chuck.
»Wenn ich sage, ich stamme aus Grönland, starren die Dänen mich an, sobald ich auch nur eine Bierflasche an den Mund setze. Als würde ich ihrer Meinung nach Flüche, Syphilis und Erbrochenes verspritzen.« Chuck schüttelt den Kopf.
»Die Hippies glauben, sie hätten sämtliche kleinbürgerlichen Werte über Bord geworfen. Aber unter der Oberfläche sind sie noch immer total von der Erziehung ihrer Eltern geprägt: scheißpuritanisch und borniert. Alle Hippies reden über neue Ideen und haben Vorstellungen, was alles zu verändern ist. Aber sie können es nicht leben. Sie wissen nicht, wie sie anfangen sollen. Das Kleinbürgertum steckt ihnen zu sehr in den Knochen«, meint Chuck.
»Aber warum hassen die Hippies mich, nur weil ich aus Grönland komme?«
»Genauso ist es mit den Indianern in den USA «, erwidert er. »Die Hippies laufen in Indianerklamotten herum, obwohl sie die Indianer im Grunde genommen hassen.«
»Versteh ich nicht.«
Chuck lacht. »Die Hippies spüren, dass die Indianer richtig geboren wurden – in Harmonie mit Mutter Erde –, während die Hippies nur versuchen, richtig zu werden. Und tief in ihrem Inneren wissen sie genau, dass sie keine Chance haben, weil sie durch ihre kleinbürgerliche Herkunft unwiderruflich korrumpiert sind.«
Ich bin Chuck aus alter Freundschaft verbunden, aber er hat ein anderes Mädchen, deshalb gehe ich auch weiterhin in Sofies Keller. Doch es wiederholt sich. Scheißdänen. Ich komme aus der Kolonie, und der Kolonialherr muss mich offensichtlich als Untermenschen sehen, aus Selbstschutz, um sich selbst nicht als Ausbeuter zu empfinden.
Die Heuchelei der dänischen Hippies stößt mich dermaßen ab, dass ich in ganz normale Kneipen gehe, wenn ich ein Bier trinken will. Aber die Handwerker sind keinen Deut besser. Ein besoffener Zimmermann namens Kurt fängt an, mit mir zu flirten, doch als ich ihm erzähle, wo ich herkomme, ist das Resultat dasselbe.
»Bist du Grönländerin?«
»Ja. Ist etwas falsch daran?«
»Ihr seid ein Haufen Schwanzneger!«
»Warum sagst du denn so was?«, fragt ihn sein Kumpel, der mich ebenfalls angestarrt hat.
»Ich hab dort gearbeitet«, sagt Kurt. »Das ist alles Mist.«
»Aber du hattest doch ein grönländisches Mädchen, oder?«, fragt der Kumpel nach.
»Ja, die Mädels können vögeln. Wirklich. Und sie sind willig. Gib ihnen ein paar Bier aus, und sie wollen mit dir bumsen. Und sie bumsen alle Fremden, die kommen, um frisches Blut für den Stamm zu bekommen, damit es keine Inzucht gibt. Aber du musst aufpassen, dass du dir nicht die Gonorrhö holst.«
»So kann man doch nicht über ein Volk reden«, widerspricht der Kumpel und wirft mir einen verlegenen Blick zu.
»Das ist kein Gerede. So sind sie. Ein Haufen Dreck. Kriegen nichts auf die Reihe. Sie saufen, halten sich an keine Abmachungen und kapieren nichts. In Grönland werden alle wichtigen Dinge von Dänen erledigt, die in Dänemark ausgebildet wurden.
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