Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
wärmer werden.«
Ich grinse. Wem sagt ihr das.
»Haste Zigaretten da?«, fragt Suza.
Ich fummele zwei von meinen Luckys aus der Packung und gebe sie ab. Sie schauen noch mal hoch zu dem Fenster mit der wackelnden Gardine und entwickeln langsam einen verkrampften Zug um den Mund. Ich sollte gehen. Wenn sie zu lange mit mir reden, kriegen sie Ärger.
»Danke«, sagt Danila. »Und grüß mal den Klatsche.«
»Mach ich«, sage ich.
Ich habe ein unheilverkündendes Schwindelgefühl.
Irgendwie ist alles wie immer.
Mittwoch:
Blinder Passagier
V on außen ist unsere Staatsanwaltschaft gar nicht mal so schlecht. Klassischer Hamburger Rotklinker, groß, ehrwürdig, respekteinflößend. Aber die Inneneinrichtung ist eine Katastrophe. Geht in die Derrick-Richtung. Da wurde zum letzten Mal in den achtziger Jahren was gemacht, und das schlecht. Die Flure sind in Grau, Braun und PVC gehalten, die Büros in Jagdgrün, Orange und Gummibaum. Ich hasse mein Büro. Mein Büro ist nun wirklich der Ort, an dem ich am allerwenigsten sein möchte. Es ist hässlich, staubig, und ich kann da nicht denken. Am liebsten wäre ich eine mobile Staatsanwältin, wenn es so was gäbe. Chastity Riley, immer unterwegs. Leider gibt’s so was nicht. Ich muss mich wirklich mal drum kümmern, dass das hier anders aussieht. So kann das nicht weitergehen. Andere Frauen machen es sich doch auch gemütlich. Warum kann ich das nur nicht? Verdammt.
Immerhin scheint vor dem Fenster meines Büros die Sonne und macht, dass die kahlen Bäume und sogar die grundsätzlich etwas beleidigt wirkende Justizvollzugsanstalt gegenüber hübsch aussehen. Angeblich soll ja der Frühling demnächst hier ankommen, behaupten sie zumindest in den Nachrichten.
Früher, als kleines Mädchen, hat mich die Kälte nicht gestört. Sie machte mir keine Angst, ich vertraute darauf, dass die Welt ein guter Ort ist. Aber irgendwann, kurz nachdem mein Vater sich eine Kugel in den Kopf gejagt hatte, fing mein Blut an zu frieren, und der Druck in meinen Adern sackte ab. Es war in der Nacht zu meinem zwanzigsten Geburtstag, ich war mit Freunden in einer Bar in Frankfurt gewesen, ich hatte getrunken und mich feiern lassen. Gegen halb drei hatte ich den Weg zurück nach Hause gefunden, ein Typ, den ich kaum kannte, hatte mich mit nach Hanau genommen. Hanau war kein schlechter Ort zum Leben damals, Rudi Völler spielte in Italien und in der Nationalelf und war ein großer Held der Stadt, insgesamt fühlte man sich gut, wenn man aus Hanau kam. Ich fühlte mich nur halbgut, denn meine Herkunftsverhältnisse waren ja komplizierter. Meine Mutter, die Frau aus Hanau, war in den USA, und mein Vater, der Mann aus den USA, lebte in Hanau. Und ich war weder noch. Ich hoffte immer, dass sich mein Leben eines Tages fügen würde, auch in der Nacht, als ich gerade zwanzig geworden war.
Ich schloss die Haustür auf, so leise wie möglich, ich wollte meinen Vater nicht wecken. Aber als ich in den Flur trat, sah ich, dass in seinem Arbeitszimmer Licht brannte. Ich schätze, dass ich dann so was gesagt habe wie: »Dad? Bist du noch wach?« Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich dann vor seinem Schreibtisch stand und mich nicht getraut habe, den toten Körper anzufassen. Er war vornübergekippt, den Kopf in einer Blutlache, auf dem Teppichboden lag seine Knarre, und in der linken Hand hielt er einen zerknäulten Zettel, auf dem stand, dass er nicht mehr könne und dass ich ihm bitte verzeihen solle. Ich war ihm nicht böse, dass er sich erschossen hatte. Ich wusste, wie schwer das Leben für ihn war, und ich hatte fast damit gerechnet, dass er nur warten würde, bis ich alt genug war, um alleine klarzukommen. Aber seitdem läuft’s nicht mehr so mit meinem Blutdruck, und ich kippe ständig um.
Ich gehe vom Fenster zum Schreibtisch und zünde mir eine Zigarette an. Auf dem Schreibtisch liegen stapelweise Zeitungen und Akten, die Lokalzeitung von heute hat unser Mädchen auf Seite eins:
Horror am Hafen –
Irrer Mörder skalpiert junge Frau
Neben der Zeitung liegt meine Akte über den Fall, mit Fotos von der Toten. Ein paar aus der Pathologie und ein paar, die noch am Tatort von ihr gemacht wurden. Ich hole tief Luft, setze mich und schaue sie mir noch mal an. Ich versuche, mich auf ihr Gesicht zu konzentrieren, aber ich sehe immer nur das, was nicht mehr da ist. Nach der Farbe ihrer Augenbrauen zu urteilen, war sie brünett. Ich weiß nicht, warum, aber ich stelle mir vor, dass
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