Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
vermutlich kaum gewehrt. Wir haben fast keine Hautpartikel unter ihren Fingernägeln, nichts, was auf einen Kampf hindeutet. Aber sie war auch bis obenhin voll mit Medikamenten, eine wehrhafte Frau ist was anderes. Skalpiert wurde sie erst, nachdem sie schon tot war, der Täter hat es vermutlich mit einer kleinen, scharfen Klinge gemacht. Und sie ist nicht da gestorben, wo ihr sie gefunden habt. Wir müssen aber noch ein paar Analysen machen und schreiben euch das dann für morgen ordentlich zusammen.«
Ich werfe noch mal einen Blick auf den Schädel des Mädchens und kann plötzlich wieder ganz genau schmecken, was ich gefrühstückt habe. Ich hoffe, der Schinkentoast bleibt, wo er ist.
Der Nebel von heute Morgen hat sich im Laufe des Tages in bösartigen Nieselregen verwandelt, die Sonne hat es wieder mal nicht geschafft.
Es ist kurz nach zehn. Die Mädchen stehen in einer Reihe, jede hat ihren ganz persönlichen Quadratmeter, sie stehen sehr akkurat, fast so, als wären sie verbeamtet. Sie tragen ihre Winteruniform: Skihosen, dicke Anoraks in den absurdesten Bonbonfarben und Moonboots. Das Zeug sitzt so eng, dass ihre Kurven völlig übertrieben dargeboten werden, als würden sie auf Sonderangebots-Drehtellern liegen. Um die Taille haben sie Bauchtaschen gebunden, da sind Geld und Schlüssel drin. Hinter ihnen liegt der Hans-Albers-Platz mit seinen Amüsierläden, eine Handvoll Schuppen, die seit Jahren die gleiche Kombination aus schneller Trinkmusik und alten Schlagern anbieten und in denen sich am Wochenende ganz Pinneberg besäuft.
Mitten auf dem Platz steht eine Bronzestatue vom blonden Hans, die vielleicht das einzig Wahre an diesem Platz ist, gemeinsam mit der schrabbeligen Rockabilly-Kaschemme am Eck, in der ausschließlich einsame Männer sitzen, Wölfe, die auf nichts Wert legen außer auf gute Musik, kaltes Bier und eine perfekt sitzende Tolle.
In den Gesichtern der Mädchen blinkt die Sexreklame von der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich frage mich immer, wer ihnen eigentlich diesen Blick beibringt. Eine beklemmende Mischung aus Verführung und Zurückweisung. Der Blick ist wichtig. Er stellt das richtige Machtverhältnis zwischen den Huren und ihren Kunden her: Du spurst und zahlst im Voraus, sonst darfst du nicht ran. Aber wenn du randarfst, dann …
Suza und Danila stehen hier schon seit Ewigkeiten. Sie wollen im Herbst aufhören, haben mir mal irgendwas von einem gemeinsamen Sonnenstudio erzählt. Suza trägt Apfelgrün, Danila Rosa, auf ihren quietschblonden langen Haaren sitzen schwarze Wollmützen. Sie versuchen, sich warm zu halten, indem sie auf der Stelle treten. Kleine Cowboy-Bewegungen.
»’n Abend, die Damen«, sage ich.
»Moin.« Unisono.
»Wie laufen die Geschäfte?«, frage ich.
»Och«, sagt Suza, »muss ja.«
Danila: »Und selbst?«
»Ich muss euch was fragen«, sage ich. »Habt ihr kurz Zeit?«
Nicken.
Ich ziehe ein Foto von der Toten aus meiner Manteltasche, das in der Pathologie gemacht wurde. Eins mit Perücke. Sollten sie wissen, wer sie war, wird der Schreck eh groß genug sein.
»Kennt ihr die?«
Danila nimmt mir das Bild aus der Hand und schüttelt den Kopf. Ich glaube ihr sofort. Wenn diese Mädchen was haben, dann ein Gefühl fürs Wesentliche. Suza verlässt ihren Posten um genau zwanzig Zentimeter, um auch mal einen Blick draufzuwerfen.
»Das heißt ja auch wohl eher ›kanntet‹, oder?«, sagt sie. »Wo haste die denn her?«, fragt Danila.
»Hafen«, sage ich. »Heute Morgen.«
Suza schaut sich das Foto eine ganze Weile an. »Also, hier hat sie zumindest nicht gearbeitet. Noch nie gesehen.«
»Auch nicht in der Davidstraße?«, frage ich.
»Nö«, sagt sie.
»Bist du sicher?«, frage ich.
Suza nickt. »Ganz sicher.«
Ich stecke das Bild wieder ein.
»Wo könnte sie denn sonst noch gearbeitet haben?«, frage ich. »Gibt’s irgendwas neues Aufregendes für Einsteigerinnen?«
»Ich finde, sie hat ein Tänzerinnengesicht«, sagt Danila.
»Ja«, sagt Suza, »solche wie die stehen eher an der Stange als auf der Straße. Ich würde mich an deiner Stelle mal in ein paar Tanzschuppen umhören.«
Sie schaut zum Fenster links über ihrem Kopf. Im ersten Stock macht sich jemand an der Gardine zu schaffen. Man beobachtet uns.
»Ruft ihr mich an, wenn ihr was hört?«
Die Mädels nicken wieder.
»Danke«, sage ich. »Und sonst? Alles okay bei euch? Braucht ihr irgendwas?«
»Alles in Ordnung«, sagt Danila. »Könnte langsam mal ’n bisschen
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