Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
und es passiert wie in Zeitlupe, aber es passiert. Es fallen zwei Schüsse. Zandvoort kippt der Länge nach auf meinen Fußboden, und aus seiner Seite beginnt dunkles Blut zu fließen. Meine Knarre hält er noch in der Hand. Ich will sie ihm abnehmen, aber ich kann mich nicht bewegen.
»Alles okay, Chas«, sagt der Faller, »alles okay.«
Ich sehe, wie er blass wird. Und dann sehe ich das Loch unterhalb seiner linken Schulter.
»Faller«, sage ich.
»Schon in Ordnung«, sagt er. »Nehmen Sie ihm die Knarre weg.«
»Ich kann nicht«, sage ich.
»Sie können«, sagt der Faller. »Los, machen Sie schon.«
Okay. Ich krieg das hin, ich schaffe das. Ich krieche auf allen vieren zu Zandvoort, während der Faller an meiner Wohnzimmertür zusammensackt. Ich ziehe die Waffe aus Zandvoorts Hand und nehme sie an mich, während der Faller immer blasser wird. Und irgendwie schaffe ich es, zu ihm rüberzurutschen.
»Faller«, sage ich. Ich greife nach seiner Hand.
»Geht schon«, sagt er.
Er fängt an zu zittern. Ich versuche, mein Telefon aus meinem Mantel zu zerren, aber es gelingt mir nicht, ich kann meine Finger nicht richtig spüren.
»Durchhalten, Faller«, sage ich, und dann habe ich auch endlich mein verdammtes Telefon in der Hand. Durchatmen. Einmal noch. Der Faller lehnt im Türrahmen und sieht mich an.
»Chas …«, sagt er, »ich …«
»Schhht«, sage ich. Und wähle den Notruf.
Sieben Minuten, sagen sie.
»Zwei Minuten, Faller«, sage ich, »zwei Minuten.«
Er versucht, die Augen offen zu halten, aber es gelingt ihm nicht. Und er versucht, mir was zu sagen. Ich rutsche näher an ihn ran und stütze seinen Kopf ein bisschen. Aus seinem Mundwinkel läuft Blut. Ich versuche, so zu tun, als wäre nichts. Der Faller mag kein großes Theater.
»Was wollen Sie mir erzählen, alter Mann?«
Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen.
»Eisen«, sagt er.
»Eisen-Siggi?«, sage ich, und dann fällt sie, die erste Träne, und die anderen kommen hinterher, die ersten seit über zwanzig Jahren, denen es erlaubt ist, denn es ist egal jetzt.
»Nicht«, sagt er, »nicht weinen.«
»Das sieht nur so aus«, sage ich. »Was ist mit Siggi?«
»Maggie«, sagt er.
»Ja«, sage ich, »was ist mit Maggie?«
»Sie war«, sagt er, »sie war seine Tochter.«
Seine Nackenmuskeln spannen sich an. Ich glaube, er lächelt.
»Ist gut, Faller«, sage ich, »ist gut.«
Und dann sackt er weg und mir wird schwarz vor Augen, ich sacke neben ihm zusammen, und mir rennen die Tränen, für den Faller, für Siggi, für Maggie, für Basso, für all die anderen Toten, und für mich.
Das Notarztteam ist zu dritt. Sie haben Apparate dabei und tun, was sie können. Sie sind hektisch. Ich sitze ein paar Meter entfernt und halte mich mit den Händen an meinem Fußboden fest. Meine Füße sind so kalt, ich glaube, sie sind weg. Sie heben den Faller auf eine Trage und sind dabei, ihn rauszuschaffen.
»Sind Sie versorgt?«, fragt mich einer der Ärzte.
Ich nicke.
»Ihre Kollegen sind unterwegs«, sagt er.
Ich nicke wieder.
»Wir bringen ihn nach Altona ins Krankenhaus«, sagt er.
»Wie geht’s ihm?«, frage ich.
»Sieht nicht gut aus«, sagt der Arzt.
Ich schaue dem Faller ins Gesicht.
Es sieht schlecht aus.
Danke:
Johnny Cash, für die Musik. Der Viererkette (sowieso) und Thordis (du weißt schon). Werner Löcher-Lawrence, ohne den ich keine Zeile geschrieben hätte. Carolin Graehl, Beate Kuckertz und Klaus Kluge, für einen unglaublich herzlichen Empfang und erstklassige Betreuung. Kerstin Bode und Annika Hirsch, für Drinks und juristische Beratung. Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger, für Rede und Antwort. Frau Froh und Frau Honzmann vom LK 41, für die Besuchszeit. Lutz Kammann und Heiko Höpner vom Polizeikommissariat 16, für den exzellenten Service. Fabian Boll, für schnelle Hilfe. Alexander Blomberg, für professionelle Hilfe, damals und heute. Harald, fürs Mutmachen. Suse, für das schöne Licht. Marcello, weil der Sturm in der Verteidigung anfängt. Flo, für das Ding gegen die Hertha. Holger Stanislawski und der Mannschaft, für die Saison 2006/2007, und überhaupt. Steve, mit Grüßen an Gino Calabretta. Dino und Dotti, für alles.
Über Simone Buchholz
Simone Buchholz, geboren 1972, wohnt mit Mann und Sohn im Herzen von Hamburg. Mit Staatsanwältin Chastity Riley aus St. Pauli – und ihren bisherigen Fällen Revolverherz, Knastpralinen und Schwedenbitter – hat sie eine der spannendsten deutschen
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