Rhanmarú - Das tote Land (German Edition)
zerrissen und dann den entsetzten Verkäufer gefragt, ob er nicht auch Anzüge aus
reißfesterem, wenn möglich feuerfestem Stoff hätte. Mit so unbelastbarer Kleidung
könne er nichts anfangen. Der Typ hat vielleicht blöd geguckt. Und Aeneas war
überhaupt keine Hilfe, hat fast einen Lachanfall gekriegt und ernsthaft erklärt, dass
mein Vater sich meist in Krisengebieten aufhielte, wo es recht wild zuginge. Der
Verkäufer sah uns an, als wären wir dem Irrenhaus entsprungen. Es war so megapeinlich.
Hätte der Erdboden sich unter mir aufgetan, ich hätte es begrüßt.«
Er seufzte und schrie dann auf: »Huch!«
Beinahe wäre er gegen eine Person gerannt, die unvermittelt vor ihm auftauchte.
»Oh, Entschuldigung! Ich wollte niemanden erschrecken« erklang eine Mädchenstimme.
»Na, so was! Wo kommst du auf einmal her?«, fragte Adrian und musterte die
kleine Gestalt, die in einem schwarzen Kapuzenmantel nahezu verschwand.
»Aus dem Gebüsch. Ich habe mich erst verlaufen und dann versteckt. Ich weiß
überhaupt nicht mehr, wo ich bin«, erklärte sie mit tragischer Stimme. »Ich habe
Angst und mir ist furchtbar kalt.«
»Du bist kurz vor Waldsee. Wo willst du denn hin, mitten in der Nacht?«,
wollte Erik wissen.
»Ich bin ausgerissen und hatte kein besonderes Ziel. Aber hier gibt es gar nichts
in der Nähe, weder ein Haus noch irgendetwas anderes.« Jetzt klang die Stimme
weinerlich.
Die Jungen sahen sich an. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Anna und Holly
waren sie schließlich nicht aus dem Weg gegangen, um nun ein heulendes Mädchen
am Hals zu haben.
»Könnt ihr mir helfen?«, bat sie mit einem Schluchzen. Sie legte die Arme um
sich, offensichtlich in der Absicht, sich zu wärmen.
Adrian blickte seinen Freund an. »Wir können sie nicht einfach allein lassen.
Um diese Zeit ist kein vernünftiger Mensch mehr unterwegs.«
Der nickte. »Was schlägst du vor? Sollen wir sie zu Aeneas bringen?«
»Wer ist das?«, fragte sie, und ihr Stimme klang gehetzt.
»Unser Vormund«, erklärte er.
Bevor er weiter sprechen konnte, stieß sie aus. »Nein, das will ich nicht. Der
bringt mich sofort wieder nach Hause. Ich kenne schließlich die »vernünftigen«
Erwachsenen.«
»Das könnte sogar sein.« Adrian kratzte sich am Kopf. »Warum bist du überhaupt
ausgerissen?«
»Weil mein Vater denkt, ich wäre seine Untergebene und müsste ihm gehorchen,
was immer er auch fordert. Doch das geht mir zu weit. Ich bin zwar seine
Tochter, aber nicht sein Eigentum.«
Adrian sah seinen Kameraden betreten an, räusperte sich und mutmaßte: »In
dem Fall wäre Aeneas vielleicht doch der richtige Ansprechpartner. Er ...«
»Nein«, unterbrach die Fremde ihn schrill. »Dann geh ich lieber allein.«
Er hielt sie am Arm fest, als sie sich an ihm vorbeischieben wollte. »Nun warte
doch!«
Erik hatte die rettende Idee. »Möbius ist gerade auf ... weg. Wir könnten sie
heute Nacht im Pförtnerhaus unterbringen. Morgen sehen wir weiter.«
Auf Adrians Nicken hin blickte er die Fremde an. »Einverstanden? Du schläfst
in einem leeren Haus, und morgen überlegen wir, was wir mit dir machen.«
Das Mädchen nickte. »Danke«, seufzte es erleichtert. »Das ist sehr nett von
euch.«
Adrian stellte dann Erik und sich selbst kurz vor und fragte: »Und wie heißt
du?«
»Suni«
»Wie?«
»Scheußlich, nicht wahr? Meine Mutter mochte den Namen«, entschuldigte sie
sich mit einem Achselzucken.
»Klingt wie ein Putzmittel: Wählen sie das tolle Suni mit Zitronenduft! Gut,
dass du ausgerissen bist. Schon der Name allein ist ein Verbrechen«, erklärte
Adrian voller Inbrunst.
Das Schloss des Pförtnerhauses war für den Custor kein Problem. Suni war
zunächst erschrocken über die vielen Pflanzen, die hier herumstanden, fand dafür
aber das Sofa gleich sehr bequem.
»Ich bin todmüde«, erklärte sie gähnend. »Ich war Stunden unterwegs.«
Erik musste automatisch ebenfalls gähnen. Nachdem sie ihr gezeigt hatten, wo
Badezimmer und Küche waren, verabschiedeten sie sich mit dem Hinweis darauf,
dass sie sich auf alle Fälle ruhig verhalten solle, bis sie zurückkämen.
Sie sah ihnen hinterher und strahlte. Zwei, der von ihr gesuchten Befreiungstruppe,
hatte sie gefunden.
Zufrieden mit ihrer Lösung machten die sich auf den Weg zur verdienten
Nachtruhe.
Gerade wollten sie die Treppe hochlaufen, als sie Aeneas‘ Stimme hinter sich
hörten. »Wisst ihr zwei eigentlich, wie spät es
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