Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
Raubvögel. Die ersten unserer Opfer an die verwobenen Grauen!“, rief der Hohepriester mit dramatischer Stimme. Er verließ Auriel. Ehrfurchtsvoll schritt er an den magisch leuchtenden Symbolen vorüber, bis er die Opfereiche erreicht hatte. Er legte die linke Hand auf den knorrigen Stamm des ehrwürdigen Baums. „Diese neun Falken werden den Göttern auf Drewja zum Opfer gereicht.“
Der Stamm der Eiche vibrierte, erschauderte unter der Berührung des mächtigen Zauberers.
Die Männer und Frauen setzten indes die Käfige auf dem Boden ab und kehrten dann in den Wald zurück.
„Auriel, bereite die Falken vor“, gebot der Hohepriester mit knappen Worten. Während er selbst einen monotonen Singsang anstimmte und in langsamen Bahnen um die Eiche herum schritt, folgte die Novizin seinen Anweisungen.
Sie konzentrierte sich einen Moment lang, sog die kalte Nachtluft über die Lippen. Dann schritt sie aufrecht, mit halb geschlossenen Augen, zu dem ersten der Käfige hinüber. Nichts als Stille war um sie herum – ein angespanntes Schweigen, bisweilen einzig durchbrochen vom Krächzen der Greifvögel.
Auriel kniete sich neben den Käfig, öffnete ihn. Im nächsten Moment griff sie hinein, den Falken an den Klauen greifend. Unbeeindruckt davon, dass er nach ihr zu hacken versuchte, zog sie ihn aus dem Käfig hervor. Ohne zu zögern, schwenkte die junge Frau das flatternde und kreischende Tier in einem vorgegebenen Muster durch die Luft. Einstudierte Formeln kamen über ihre Lippen, düsteres Geleier magischer Wortabfolgen.
Gleichzeitig zog sie den Dolch aus der Scheide, den sie am Gürtel trug – eine sorgsam geschärfte Basiliskenzunge, geschmiedet für Rituale wie dieses.
Die Novizin hielt den Raubvogel fest im Griff. Lauernd harrte sie auf die Trommelschläge, die sich bald darauf erneut erhoben und die Luft erzittern ließen. Sie wartete einen bestimmten Augenblick ab, ungeduldig, lüstern. Als er gekommen war, riss sie die Klinge in die Höhe und rammte sie dem Vogel in den Brustkorb.
Das jähe Kreischen des Vogels schrillte in ihren Ohren. Auriels Augen nahmen einen fremden, abwesenden Ausdruck an. Aus ihrer Kehle sangen dumpfe Beschwörungsformeln.
In gebogener Bahn zog sie den Opferdolch durch das Fleisch des Falken.
Unter gellendem Krächzen ergoss sich rotes Blut aus der tiefen Wunde. Je mehr sich das Tier wand, desto schneller quoll es hervor. Nur wenig später versagten die Lebensgeister des Falken. Leblos hing er in Auriels Hand.
Auriel indes stieß einen spitzen Schrei aus und bedeutete somit dem Hohepriester und den Umstehenden, dass das erste Opfer vorbereitet war.
Sogleich liefen zwei in lange, schwarze Gewänder gehüllte Zauberer aus dem Kreis herbei. Sie nahmen ihr das tote Tier ab. Während sich Auriel dem nächsten Käfig und somit ihrem zweiten Opfer zuwandte, beeilten sich die beiden Sekundanten, den getöteten Falken an einen Strick zu knüpfen. Gleich darauf banden sie das Seil an einem der unteren Äste Drewjas fest. Der leblose Körper schwang sacht im Wind hin und her.
„Ihr verwobenen Grauen, wir überreichen Euch das erste Geschenk dieser Nacht!“, drang die Stimme des Hohepriesters von Ferne an Auriels Ohren.
Ohne mit der Wimper zu zucken, und ohne Mitleid zu verspüren, richtete sie jeden der neun Vögel hin, einen nach dem anderen. Sie hörte kaum die Schreie, spürte nicht die Todesangst, welche die zuckenden Leiber der Vögel aus jeder Pore verströmten. Ebenso fühlte sie nicht das warme Blut, das auf ihrer Kleidung haftete und ihr bei jedem weiteren Streich ihres Dolches ins Gesicht spritzte.
Als die neun Vogelleiber bizarren Schatten gleich als Zeugen dieses grausamen Auftaktes des Rituals an Drewjas Ästen hingen, ergriff der Hohepriester wieder das Wort.
„Ihr verwobenen Grauen, hört mich an.“ Dabei hielt er die Arme weit zu den Seiten ausgestreckt, die Handflächen zum Nachthimmel gewandt. „Das erste Opfer ist bereit, von Euch empfangen zu werden. Untertänig stehen wir vor Euch, erflehen Eure Gunst. Die nächsten neun Wesen werden unser Geschenk erweitern, um Euren Anforderungen Genüge zu tun. Doch sehet schon jetzt auf das Opfer, das wir Euch darbringen.“
Dann winkte er Auriel zu, die daraufhin den Zauberern ein Zeichen gab. Vom Waldrand her näherten sie sich, um in Käfige gesperrte Wölfe an die Opferstätte zu geleiten.
Die Raubtiere knurrten und heulten, als würden sie das Schicksal wittern, das ihnen drohte. Trotz der Gefahr, die von den
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