Rheingau-Roulette
Einkaufen oder so, ist sie hierhergekommen.“
Alexandra schaute ihre Cousine an. „Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass du zu ihr kommst, damit du nicht siehst, wie es bei ihr aussieht.“
„Möglich. Vielleicht sollten wir einfach ein Entrümpelungsunternehmen bestellen.“ Caro schaute Alexandra fragend an. „Was meinst du?“
Alexandra schob langsam ihre Sonnenbrille nach hinten in die Haare. „Weißt du, auch wenn mir die Menge der Säcke und die noch nicht begutachteten Räume Angst machen. Es hat schon was, ein Haus zu entrümpeln. Ich räume so vor mich hin, dabei denke ich über Gott und die Welt bzw. Oliver und mich nach. Es ist ... irgendwie entlastend. Verstehst du, was ich meine?“
Caro nickte. „Hm. Ich weiß, was du meinst. Keine Verantwortung gegenüber Patienten, keinen Termindruck, keine Rechnungen ... Entrümpelung der Seele. Aber du kannst dich nicht ewig dahinter verstecken. Du musst irgendwann eine Entscheidung treffen, was deine berufliche Zukunft angeht und loslegen.“
„Ich weiß. Ich habe mir noch den April gegeben, dann fange ich an. Für den Mai habe ich schon einen Termin mit dem Makler gemacht.“
„Willst du das Haus verkaufen?“
„Nein, ich suche erst mal Praxisräume. Zur Miete. Was ich mit dem Haus mache, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall wird der Garten kleiner!“
„Na, das Grundstück kannst du noch in mindestens zwei Bauplätze teilen. Aber du solltest mit dem Verkauf noch etwas warten. In spätestens zwei Jahren soll die Zugverbindung nach Berlin verbessert werden. Dann kriegst du auf jeden Fall mehr Geld.“
„Erst mal räume ich das Haus auf. Gib mal die Liste rüber.“
Ostern.
Aus terminlichen Gründen war die Taufe auf den Ostersonntag festgelegt worden. Der Pfarrer musste in mehreren Gemeinden Dienst tun und in diesem Jahr waren so viele Taufen, Hochzeiten und Konfirmationen geplant, wie schon lange nicht mehr. Die Kirchenglocke läutete kräftig durch die sonntägliche Stille. Der Taufgottesdienst war gut besucht. Menschen in festlicher Kleidung standen vor der Kirche in der glühenden Sonne, die schon um elf Uhr morgens erbarmungslos vom Himmel brannte. Der einzige schattige Platz direkt neben dem Gotteshaus, unter einem großen Nadelbaum, war von Kinderwagen zugestellt.
Alexandra stand mit Arno, Caro und den Kindern in der Menschenmenge an der Kirchentür und wartete auf die Öffnung der großen Eingangstür. Der Geruch von kaltem, altem Stein zog an ihnen vorbei, als der Küster die Kirchentür öffnete und die Besucher herein bat. Alexandra fing sofort an zu frieren. Draußen war es brütend heiß und in der Kirche stand die kalte Luft. Still und muffig. Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass sie die Einzige war, die keine Jacke dabei hatte. Alle anderen schienen die kirchentypische Kälte zu kennen und hatten sich darauf eingerichtet. Alexandra ärgerte sich. Auf einen Gottesdienst hatte sie ohnehin wenig Lust und bei dieser langweiligen Veranstaltung auch noch zu frieren, ließ ihre Laune in den Keller sinken. Außerdem meldete sich ihre Blase. Diese widrigen Umstände riefen merkwürdige Gedanken in ihr hervor. Sie hätte Caros Anfrage nach der Patenschaft für Charlotte doch ausschlagen sollen. Oder davon überzeugen sollen, dass sie gern eine Patenschaft übernimmt, aber ohne diesen kirchlichen Mumpitz.
„Hier. Ich hab für dich auch ein Jäckchen mitgenommen.“
Alexandra blickte ihre Cousine überrascht und dankbar an. Sie versöhnte sich augenblicklich mit ihrer derzeitigen Lage.
„Du bist ein Schatz. Ohne dich hätte deine Tochter in einer halben Stunde ihre Taufpatin nur unter Protest aus der prallen Sonne in die Kirche holen können.“ Sie rieb sich ihre ausgekühlten Arme und zog sich rasch die Strickjacke an, die Caro ihr reichte.
Die Orgel setzte ein und der Gottesdienst begann. Mit kritischem Blick betrachtete Alexandra den Ablauf. Auch wenn sie keine Kirchgängerin war, musste sie zugeben, dass Thessmann Redetalent besaß und gut singen konnte. Seine Predigt war an manchen Punkten witzig und er hielt sich kurz. Ein unschlagbares Argument für eine gelungene Predigt, wie Alexandra fand. Auf Caros Wunsch hin war ein Gospelchor gekommen und hatte den Gottesdienst musikalisch begleitet. Es war ein untypischer Gottesdienst, es wurde gelacht, geklatscht und geschwatzt. Alexandra war angenehm überrascht.
Charlotte war nicht der einzige Täufling, aber die Größte. Sie stand neben Alexandra. Leise glucksend ließ sie
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