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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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waren. »Ich hatte schon viele Lieder über dich gehört, bevor dein Skop kam und mit meinem Vater sprach, aber ich würde gern mehr erfahren.« Sie lächelte in Paltwinis Richtung. Herwodis sprach wenig, aber sie hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, und ihr entging keine Bewegung seines Gesichts. Sie betrachtete ihn ebenso genau wie den Kamm, den er ihr geschenkt hatte. Sigmund konnte nicht sagen, ob sie ihn ablehnte oder mochte. Ihr kräftiges Gesicht blieb sanft und freundlich bei allem, was er sagte. Als einzige Reaktion stellte sie ihm hin und wieder eine neue Frage. Er empfand ihre Ausgeglichenheit als wohltuend - so wohltuend, wie er in seiner Jugend den großen Apfelbaum empfunden hatte, der stumm und beständig in der Mitte von Wals' Halle stand und unter den er sich immer setzte, wenn ihn etwas bekümmerte.

    *

    Es war bereits später Nachmittag, als Sigmund vor der Halle das Bellen von Hunden und Stimmengewirr hörte. Das Eichentor flog auf, und zwei Männer kamen herein. Sie trugen einen Hirsch über den Schultern. Sigmund wußte sofort, wer der Ältere war. Der Mann war glatt rasiert, und seine dunkelbraunen Zöpfe reichten ihm bis zur Hüfte. Eine kleine Narbe durchschnitt seine rechte Augenbraue und hob sie wie in einer ständigen Frage. Das ernste Gesicht glich sehr dem seines Bruders Haribald, und aus ihm sprach unverkennbar die gleiche natürliche Würde, die Herwodis besaß. Der jüngere Mann war mittelgroß, muskulös und hatte schmale Hüften. Dichte blonde Locken fielen ihm auf die breiten Schultern; sein langer blonder Bart war wie gelbes Gras am Anfang des Winters. Lärmende Krieger und bellende Hunde folgten ihnen durch das Tor. Das ausgelassene Geschrei wurde von den Teppichen an den Wänden und dem Stroh auf dem Boden nur wenig gedämpft. Nicht nur die beiden Drichten kamen mit Jagdbeute zurück. Die Jagdgesellschaft hatte außerdem zwei junge Wildschweine und einen Damhirsch erlegt. Das war genug Fleisch für alle.
    Awilimo und der jüngere Mann legten den Hirsch vor die große Feuerstelle in der Mitte der Halle. Dunkelbraun gekleidete Knechte erschienen, um das Wild zu enthäuten, zu zerlegen und an Spießen zu braten. Herwodis erhob sich und brachte den beiden Männern Wein, während Hilde mit anderen Mägden das Gefolge versorgte. Sigmund stand auf, als Awilimo sich ihm mit dem anderen Mann näherte. Zur Begrüßung umfaßte er den Unterarm des fränkischen Königs. Awilimo hatte einen festen Griff, und er zuckte unter Sigmunds Kraft nicht zusammen. Der Fremde bohrte die rauhen Finger tief in Sigmunds Muskeln, doch der drückte ihm den Arm so fest, daß die Lippen seines Rivalen blaß wurden. »Lingwe, Hundings Sohn«, sagte Sigmund, »deine Sippe ist im Norden sehr berühmt.«
    Lingwe preßte die breiten Nasenflügel zusammen, als rieche er etwas Unangenehmes. Seine blaugrünen Augen musterten Sigmund. »So wie deine Sippe bei uns, Sigmund«, erwiderte er, »und ich glaube, im Land der Franken ebenfalls.«
    »Herwodis sagt, die Lieder meiner Taten und die meines Sohnes Sinfjotli werden oft hier gesungen.« Sigmund lächelte ungezwungen auf seinen Rivalen herab. Awilimos Mundwinkel zuckten beim Anblick der beiden Kontrahenten in einem stillen Lächeln. »Wie schade, daß du so spät hier eingetroffen bist«, fuhr Lingwe fort. »Die Jagd war heute gut, und ich habe gehört, daß du in deiner Jugend als Jäger in den Wäldern des Nordens sehr bekannt warst.«
    »Gewiß, in meiner Jugend habe ich viele große Taten vollbracht, aber noch mehr, seit ich ein erwachsener Mann bin. Jetzt habe ich beinahe das Alter erreicht, in dem mein Vater auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Die Wälsungen leben lange, obwohl nur wenige von uns auf einem Strohlager gestorben sind. Das ist ein Geschenk von Wotan, dem Vater meines Großvaters Sig.«
    Lingwe hüstelte trocken, als habe er sich verschluckt. Er blickte auf Awilimo und dann zu Herwodis, die neben ihrem Vater stand und sie ruhig beobachtete. In diesem Augenblick des Schweigens trat sie vor und füllte die Pokale der Männer.
    »Es ist mir eine große Ehre, von zwei so berühmten Drichten umworben zu werden«, sagte Herwodis und blickte erst dem einen und dann dem anderen in die Augen. »Aber König Lingwe, du bist nach der Jagd sicher erschöpft. Wollt ihr euch nicht beide zu mir setzen?« Mit diesen Worten führte sie Sigmund und Lingwe wieder zu den Ehrenplätzen und setzte Lingwe zu ihrer Rechten und Sigmund zu ihrer Linken. Awilimo nahm

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